Was macht eine rechte deutsche NGO im Libanon?
Muazzaz Ali und ihre Tochter Lama Farzad sitzen im Schatten eines Kreuzes. Sonnenlicht fällt durch ein Fenster auf die weiße Zeltplane; die Streben, die das Glas unterteilen, werfen einen kreuzförmigen Schatten auf das Tuch.
Die beiden Frauen sind syrische Flüchtlinge, der Krieg hat sie zu Witwen gemacht. Sie sitzen auf dem Boden des Zelts, die Hände zusammengefaltet, den Blick nach unten gerichtet. Fast sieht es aus, als beteten sie zu dem Kreuz. Aber sie sind Muslime, was für sie selbst nur eine von vielen Informationen über sie ist. Für die Deutschen, die die Miete für dieses Zelt überweisen, ändert das jedoch alles.
In diesem Mai tauchten zwei Deutsche im Flüchtlingslager in der libanesischen Bekaa-Ebene auf. Sie trugen T-Shirts mit der Aufschrift "Hilfe vor Ort" und gaben sich als Helfer aus. "Sie sprachen mit uns nur über den Krieg", sagt Muazzaz, die gar nicht wusste, wer die beiden Männer waren. "Sie filmten unser Zelt."
Hilfe nur dem Namen nach?
Die beiden Deutschen gehören zu einer Gruppe namens "Alternative Help Association" (AHA), die angeblich vom Krieg betroffenen Menschen vor Ort helfen will, so wie viele andere Organisationen auch. Ihr tatsächliches Ziel ist jedoch ein anderes: Sie wollen die Flucht nach Europa stoppen. Die beiden Männer, Nils Altmieks und Sven Engeser, besuchten das Lager als Sachbearbeiter von AHA, aber sie sind außerdem auch Mitglieder der neurechten Identitären Bewegung, die sich in Europa ausbreitet.
Das AHA-Logo, ein Haus mit spitzem Dach auf einer ausgestreckten Hand, umrahmt von einem Kreis, weist schon auf den ersten Blick Ähnlichkeiten zum Identitären-Logo auf, wo nur zwei Linien im gleichen Winkel wie beim Hausdach zu sehen sind, die bis zum Kreis durchgezogen sind. Auf der AHA-Webseite wird die Verbindung beider Vereine zwar nicht explizit genannt, in den FAQ gibt es jedoch eine wenig aussagekräftige Antwort auf die Frage: "Warum agiert unser Hilfsprojekt nicht unter dem Namen der Identitären Bewegung?"
Die Bewegung selbst bezeichnet sich als patriotisch und weist Verbindungen zu Rechtsextremen zurück. Das hindert sie aber nicht daran, Islamophobie zu predigen und explizit einen EU-weiten Aufnahmestopp für Muslime zu fordern. Sie treten für ein Konzept namens "Ethno-Pluralismus" ein, nach dem politische Regionen nach ethnischer Verteilung gegliedert werden sollten.
Die Website der Identitären Bewegung behauptet, Europa durchlaufe eine demografische Krise, weil "unsere Völker durch sinkende Geburtenraten bei gleichzeitigem Wachstum islamischer Parallelgesellschaften und Masseneinwanderung zur Minderheit in den eigenen Ländern" würden. Die Organisation, die seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet wird, spricht von einem vermeintlichen "Großen Austausch".
Sven Engeser ist laut Impressum für die Website der AHA verantwortlich. Die DW fragt ihn, wie ihre Beschreibung Europas als "christlicher Kontinent" zu verstehen sei und wie der Einfluss von Flüchtlingen in seinen Augen ihre "christliche Identität" herausfordere. Engeser antwortet: "Die meisten Migranten, die nach Europa kommen, haben einen muslimischen Hintergrund und tragen so zur Islamisierung des Kontinents bei. In mehreren größeren europäischen Städten sind wir als Europäer bereits in der Minderheit. Wir wollen unsere ethnische und kulturelle Identität schützen."
Über diese Ziele hatte AHA die Familien, die sie getroffen hatten, nach deren Aussage nicht informiert. Beim DW-Besuch im Flüchtlingscamp sagen die, sie wussten nichts über die Absichten der Männer, die auftraten, als seien sie einfach nur gute Samariter.
"Nein, sie haben uns nicht gesagt, dass sie uns helfen, um syrische Flüchtlinge oder Muslime davon abzuhalten, nach Europa zu gehen", erklärt Lama Farzad. Ihre Mutter Muazzaz Ali wirkt beleidigt: "Syrer haben ihre Heimat verlassen, weil in ihrem Land Krieg herrscht. Niemand ist gerne im Exil", sagt sie der DW.
Auf die Vorwürfe der Frauen angesprochen, sagt Sven Engeser: "Ich weiß nicht, mit welcher Familie Sie gesprochen haben. Erst vor ein paar Wochen haben wir die Familien besucht und über unsere Ziele gesprochen."
Minimale Hilfe, maximale Aufmerksamkeit
AHA hilft zehn Familien im Libanon mit insgesamt je 100 US-Dollar (87 Euro) über einen Zeitraum von drei Monaten. Die Zahlungen gelten als Wohltätigkeit - sind aber weit weg von dem, was gebraucht würde, den Millionen von Flüchtlingen im Libanon wirklich zu helfen oder sie gar davon abzubringen, die gefährliche Reise nach Europa auf sich zu nehmen.
Das ruft andere Hilfsorganisationen auf den Plan, die bezweifeln, ob AHA überhaupt wirkliche Hilfe leisten will. Eine von ihnen ist Medico International, eine deutsche Organisation, die im Libanon mit lokalen Partnern zusammenarbeitet, um syrischen Flüchtlingen zu helfen.
Ihr Koordinator für Syrien und Libanon, Till Küstner, erklärt, dass die Grundidee von AHA sei, die politische Debatte in Deutschland zu beeinflussen und weiter nach rechts zu drängen. "Sie versuchen sich als Gruppe darzustellen, die vor Ort im Libanon aktiv ist und verknüpfen diese 'Projekte' mit ihrem politischen Kampf gegen Fremde, die aktuelle Migrationspolitik in Deutschland und das demokratische System in Deutschland insgesamt."
Nadia Rdeini, eine Aktivistin aus der Bekaa-Ebene, hilft AHA, die Familien auszuwählen, die von den Zahlungen begünstigt werden sollen. Sie sagt dass AHA sicher keinen Erfolg darin hatte, irgendwen von der Reise nach Europa abzuhalten - allein schon, weil keine der geförderten Familien je einen derartigen Wunsch geäußert habe. "Wenn sie die Chance dazu bekommen, ändern sie vielleicht ihre Haltung, aber das ist nicht dasselbe", sagt Rdeini.
Für die politischen Ziele der AHA hat sie nichts übrig. "Als ob ich durch die Camps laufen und fragen würde, 'Wer will nach Europa gehen? Nehmt 100 Dollar und bleibt hier.' Wie naiv ist AHA denn?", so Rdeini. Sie helfe meist jenen, die das Geld besonders dringend bräuchten, so wie den beiden Witwen.
Verhöhnen die Neurechten Syrer?
Es ist schwer zu beurteilen, wie Muazzaz Ali und Lama Farzad sich fühlen, wenn sie über die wahre Motivation der AHA reden. Sie wirken aufgebracht darüber, dass die Menschen, denen sie Zutritt zu ihrem vorübergehenden Zuhause gewährt hatten, ihnen keinen reinen Wein einschenkten, wer sie wirklich sind.
Die Syrerinnen müssen nun ihren Stolz überwinden. 100 Dollar sind vielleicht in Deutschland nicht viel Geld, für sie aber schon. Ali hat Probleme mit der Wirbelsäule und kann nicht arbeiten. Farzad sortiert auf einer Farm Gemüse und verpackt es in der Erntesaison. Für eine Zwölf-Stunden-Schicht bekommt sie sieben Dollar, das einzige Einkommen der beiden Frauen.
"Wir können uns kaum Brot, Öl und Salz leisten", sagt Ali. In dieser Lage können sie sich schlicht nicht leisten, das Geld von AHA auszuschlagen.
Lama Farzad erklärt das Dilemma: "Ich weiß, dass viele Syrer in Deutschland sind, und vielleicht wollen sie deshalb nicht auch noch uns aufnehmen", sagt sie. "Aber es ist ein harter Krieg in Syrien und wenn sie können, müssen sie uns helfen. Aber was sollen meine Mutter und ich in Europa? Dort gibt es nichts für uns." Es sieht so aus, als würde zumindest diese Förderung den Identitären weniger nützen als den Begünstigten selbst.
Anchal Vohra
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