Bedienungsanleitung für Deutschland
Nach Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind im Jahr 2015 etwa eine Million Menschen nach Deutschland geflohen. Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, wie diese Menschen erfolgreich integriert werden können. Es gibt inzwischen verschiedenste Hilfsangebote - genau wie auch die Herkunftsländer der Geflohenen verschieden sind. Kulturell, ethnisch oder religiös unterscheiden sich die Gepflogenheiten mitunter sehr - je nachdem, ob jemand aus Afghanistan stammt, aus dem Irak oder aus Nigeria. Folglich fallen auch die bislang erschienenen Integrationsratgeber für Flüchtlinge inhaltlich und sprachlich oft recht verschieden aus.
Die Angst vor dem Fremden
"Fremd" - für manche Deutsche steht dieses Synonym auch für "feindlich", genauso wie es die deutsche Rockband "Die Toten Hosen" einst in "Willkommen in Deutschland" besungen hat. Doch nicht nur die Neuankömmlinge erscheinen vielen Einheimischen fremd, auch für die Neuankömmlinge muss vieles hierzulande fremd oder verwirrend wirken: angefangen bei Fragen des alltäglichen Lebens wie dem öffentlichen Verkehr, Geschäftszeiten oder der vielzitierten Mülltrennung. Auch stellt sich die Frage nach der Perspektive: Welche Faktoren sind ausschlaggebend für eine gelungene Integration? Das primär auf die Belange der Gesellschaft eingegangen wird oder vor allem auch auf die Bedürfnisse derer, die Teil dieser Gesellschaft werden wollen? Höchstwahrscheinlich beides.
Abgesehen von dem, was der Staat leistet, und des beeindruckenden Engagements der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer, geht es hier um konkrete Hilfen im Alltag für Flüchtlinge: Broschüren, Bücher, Flyer oder Online-Angebote, also Kurzanleitungen und knappe Einführungen für das neue Leben in Deutschland.
In einigen Fällen sagen diese Integrationshilfen jedoch mehr über die Befürchtungen der Herausgeber aus, mit welchen Problemen in Hinblick auf Flüchtlinge in Deutschland ihrer Meinung nach zu rechnen ist, als über erfolgversprechende Ansätze, wie diese Probleme zu lösen sind.
Benimmregeln oder Hilfestellung?
Die im Internet veröffentlichte "Hilfestellung und Leitfaden für Flüchtlinge" des Bürgermeisters von Hardheim, einer kleinen Gemeinde im Odenwald, spiegelt vor allem weit verbreitete Ängste und stereotype Vorstellungen über Flüchtlinge und Migranten wider, wenn es darin heißt: "Unsere Notdurft verrichten wir ausschließlich auf Toiletten, nicht in Gärten und Parks, auch nicht an Hecken und hinter Büschen […] Deutschland ist ein sauberes Land, und das soll es auch bleiben! […] Junge Mädchen fühlen sich durch Ansprache und Erbitte von Handy-Nummer und Facebook-Kontakt belästigt und wollen auch niemanden heiraten. […] In Deutschland respektiert man das Eigentum der anderen. Man betritt kein Privatgrundstück, keine Gärten, Scheunen und andere Gebäude und erntet auch kein Obst und Gemüse, das einem nicht gehört."
Auf den Inhalt dieses Leitfadens hagelte es verständlicherweise in den Medien reichlich Kritik. Teilweise musste der Text daraufhin nachgebessert werden.Und dieses Beispiel zeigt deutlich: Es ist zwar zweifelsohne wichtig zu wissen, was man nicht tun sollte oder was verboten ist - sei es nun in Form bestehender oder ungeschriebener Gesetzen -, aber allein damit ist den Integrationswilligen nicht geholfen. Außerdem bleibt fragwürdig, ob solche Belehrungen beim Rezipienten überhaupt ankommen.
Anders dagegen die Integrationshilfe des Herder-Verlags: In Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung, brachte Herder das Buch "Deutschland – Erste Informationen für Flüchtlinge" heraus. Es ist ein Leitfaden auf Deutsch und Arabisch, womit auch klar wäre, an welche Zielgruppe es sich vornehmlich richtet. Zwar kommt ein Großteil der Flüchtlinge aus dem arabischen Raum, doch bei weitem nicht alle. Aber immerhin könnte das Buch so auch sofort von Menschen genutzt werden, die bislang noch kein einziges Wort deutsch sprechen. Inzwischen gibt es auch eine kostenlose App für Smartphones.
Von Muslimen für Muslime
Einen sehr gelungenes Beispiel zeigt die Broschüre "Willkommen in Deutschland - Wegweisung für muslimische Migranten zu einem gelingenden Miteinander in Deutschland", das bislang auf Deutsch, Englisch und Arabisch erschienen ist. Sie richtet sich gezielt an Flüchtlinge muslimischen Glaubens, argumentiert mit arabischen Sprichwörtern und vielen Koranzitaten und Prophetenaussprüchen und setzt die Integration in Deutschland in einen Kontext, der insbesondere für Muslime angemessen und verständlich ist. Herausgegeben wird die Broschüre vom "Münchner Forum für Islam" (MFI) mit Unterstützung der Stadt München.
Neben religiösen Fragen werden darin auch Themenfelder wie Bildung, Arbeit und Geschichte behandelt. Der Tonfall ist hier nicht belehrend, sonderm durchgängig freundlich, auf Augenhöhe mit den Flüchtlingen und gleichzeitig unmissverständlich - so etwa, wenn es um die deutsche Gesetzgebung geht oder das Thema Gleichberechtigung: "Die Frauen haben den gleichen Wert wie die Männer. Nur die Würdigen würdigen Frauen und nur die Nichtswürdigen erniedrigen sie" - ein Rekurs auf einen Ausspruch des Propheten Muhammed, der die gesellschaftliche Stellung der Frau beschreibt.
Imam Benjamin Idriz vom MFI sieht keinen Widerspruch darin, dass Muslime einen Integrationsratgeber herausbringen. In einem Interview mit dem ARD-Morgenmagazin erklärte er jüngst, dass man schließlich wisse "wie Integration in Deutschland abläuft". Außerdem müsse die Mehrheitsgesellschaft auch wissen, "dass der Islam kein Hindernis für eine gelungene Integration darstellt. Im Gegenteil: Der Islam fördert und fordert die Integration", so Idriz.
Ein anderes Beispiel für gelungene Integrationshilfen ist der "RefugeeGuide" des Klett-Verlags, der in 16 Sprachversionen vorliegt, darunter auf Deutsch, Englisch und Arabisch sowie auf Türkisch, Kurdisch, Urdu, Paschtu, Albanisch, Dari und Mazedonisch. Der "RefugeeGuide" kann im PDF-Format online gelesen werden, darüber hinaus wird er von diversen Druckereien und Verlagen, unter anderem auch von der Bundeszentrale für politische Bildung, kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Auf der Homepage refugeeguide.de kann auch ein Aushang ausgedruckt werden, um Smartphone-Nutzern den direkten Zugang zu erleichtern. Der Dialog auf Augenhöhe wird bei diesem Werk groß geschrieben, genauso wie auf aktive Mitarbeit der Flüchtlinge selbst: "Die Einbindung von Geflüchteten beim Entwurf dieses Guides war von großer Bedeutung. Mit den Geflüchteten wurde auch viel darüber gesprochen, inwieweit diese Orientierungshilfe als überheblich und abwertend wahrgenommen werden könnte", heißt es in der Einleitung.
Kultursensibler Umgang mit Flüchtlingen
Wünschenswert für eine gelungene Integration ist, dass die zahlreichen Angebote konkrete Hilfsansätze bieten und im Alltag praktisch genutzt werden können. Ein entscheidender Punkt ist sicherlich, ob die Schutzsuchenden sich davon überhaupt angesprochen fühlen.
Allerdings herrscht noch immer eine gewisse Diskrepanz vor in Hinblick auf die direkte Kommunikation mit Flüchtlingen. So heißt es etwa in "Deutschland – Erste Informationen für Flüchtlinge": "Willkommen in Deutschland! Das gilt für Flüchtlinge, die vor Krieg und Gewalt fliehen" - ein Willkommensgruß mit Einschränkung.
Auf der Seite der "Ankommenapp", ein Angebot des Goethe-Instituts, klingt das schon wesentlich sensibler: "Sie haben eine lange und beschwerliche Reise hinter sich. Aber jetzt sind Sie in Deutschland angekommen. Ankommen bedeutet im Deutschen aber noch viel mehr: Teil der Gesellschaft werden, mitmachen. Dabei hilft Ihnen diese App".
Noch entscheidender ist allerdings, ob die diversen Hilfsangebote für Flüchtlinge überhaupt zufriedenstellend genutzt werden können. Martina Staffelstein arbeitet ehrenamtlich in einer vom DRK betreuten Flüchtlingsunterkunft in Bergisch Gladbach. Ihre Beobachtung: "Soweit ich weiß, nutzen die Flüchtlinge keine Flyer oder ähnliches in Papierform, ausgenommen die Merkblätter der Ämter. Die meisten Informationen bekommen sie von den Sozialarbeitern, den ehrenamtlichen Helfern und aus dem Internet."
Letztlich wird die Praxis zeigen, welche Art der zahlreichen Integrationshilfen wirklich auf Akzeptanz stößt und von den Flüchtlingen in Anspruch genommen wird. Schon jetzt deutet sich an, dass Onlineangebote und Apps wesentlich mehr Erfolg versprechen. Dass viele Flüchtlinge über Smartphones verfügen, war nicht zuletzt im vergangenen Jahr ein großes Medienthema. Der Frage, warum denn so viele Flüchtlinge ein solches Gerät besitzen, wurde dabei nicht selten äußerst kritisch und häufig nachgegangen.
Michael Erhardt
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