Wo Religionen Brücken bauen
Wenn Gëzim Karaj, der Imam der Königsmoschee in der mittelalbanischen Stadt Elbasan, auf dem Heimweg Pater Nikolla, den orthodoxen Priester der Marienkirche, sieht, hält er sein Auto an, nimmt den alten Herrn mit, bringt ihn nach Hause und fährt dann weiter. "Das ist normal für uns, wir plaudern gern miteinander. Klar, wir glauben anders an Gott, aber das hindert uns nicht, gute menschliche Beziehungen zu haben. Wir brauchen einander und wir helfen einander", sagt der Imam.
Die orthodoxe Kirche, in der Pater Nikolla seine Messen hält, und die Moschee, in der der Imam predigt, stehen nahe beieinander in der Altstadt von Elbasan. Und vom Garten der orthodoxen Kirche aus kann man auch die alte katholische Kirche aus der byzantinischen Zeit sehen. Jahrelang hielt hier Bischof Josif Papamihali seine Messen, der vor einem Jahr vom Papst zum Märtyrer der katholischen Kirche erklärt wurde.
"Es ist nicht ungewöhnlich, in Elbasan einen christlichen Priester und einen Imam in den kleinen Cafés der alten Burg von Elbasan Mokka trinken zu sehen", sagt Ilir Hoxholli, Religionsexperte und ehemaliger Leiter der staatlichen Religionsbehörde. Er nennt dieses Miteinander der Religionen "den besten Exportartikel, den Albanien in der Welt anzubieten hat".
Um diese Jahreszeit scheint im Süden oft die Sonne und es ist warm. Um die Mittagszeit sind nur wenige Menschen unterwegs. Elbasan wirkt schläfrig. Vom Fenster eines alten Hauses, das an die katholische Kirche angrenzt, grüßt eine ältere Frau.
Für sie ist es nichts Besonderes, dass die unterschiedlichen Religionen in der Stadt friedlich miteinander auskommen. "So kenne ich das seit jeher", sagt die 60-Jährige und zeigt auf den Eingang der Marienkirche.
Der schönste Moment des Lebens
Dort, in dem kleinen Hof unter der Weinlaube, sitzt Pater Nikolla. Zu ihm kommen die orthodoxen Gläubigen, verbeugen sich vor dem alten Mann, wünschen gute Besserung und gehen in die Kirche. Aber auch Muslime kommen vorbei und fragen nach dem gesundheitlichen Zustand des Paters.
"Dieses gute Miteinander, dieses Umarmen der Religionen untereinander, ist ein Geschenk für uns. Dabei machen wir nicht mehr, als die Tradition unserer Ahnen fortzuführen. Ich bin mit Geschichten groß geworden, in denen man diese einfache, aber klare und reine Glaubenstradition lernen konnte", erzählt Pater Nikolla.
Er wirkt zwar zerbrechlich, aber seine Stimmer wird fester, als er von dem schönsten Moment seines Lebens erzählt. "Als die Wende kam und damit die Möglichkeit, die Glaubenshäuser wieder zu öffnen, gingen die Leute von Elbasan nicht getrennt zur Kirche oder zur Moschee. Nein, alle öffneten gemeinsam die Kirchen und die Moscheen. Ist das nicht wunderbar?"
Die Bewohner von Elbasan erzählen stolz, dass Muslime, Katholiken und Orthodoxe seit Jahrhunderten nicht nur friedlich, sondern auch gern die religiösen Feste der jeweiligen anderen Gläubigen mitfeiern.
"Diese Toleranz liegt in den Wurzeln dieser an Geschichte reichen Stadt, die ursprünglich griechisch-orthodox war. Später kam der Islam dazu", sagt der Medienbeauftragte der Stadt Elbasan, Besim Dybeli. "Heute noch gibt es Fälle, wo die Vornamen griechisch und die Nachnamen muslimisch sind." Es gebe auch viele religiös gemischte Ehen in Elbasan. "Diese religiöse Harmonie ist aus der gemeinsamen Geschichte entstanden. Wir sahen uns erst als Albaner, und erst dann als Moslems oder Christen", sagt er.
Gemeinsamt gegen den religiösen Terror
Albanien rühmt sich gern der religiösen Harmonie unter den vier offiziell vertretenen Religionen. Zum Islam bekennen sich rund 60 Prozent der knapp drei Millionen Albaner, zehn Prozent sind Katholiken, etwa sieben Prozent Orthodoxe und rund zwei Prozent gehören zu den Bektaschi, einem alten Derwischorden. Viel Beifall bekamen im Januar 2015 die vier religiösen Vertreter aus Albanien, als sie beim Trauermarsch in Paris in Gedenken an die Opfer des terroristischen Angriffs gegen die Zeitung "Charlie Hebdo" Arm in Arm gingen.
Elbasan ging aber einen Schritt weiter. Hier wurde das erste Zentrum für interreligiöse Zusammenarbeit im Land gegründet. Alle Religionen sind dort vertreten, um den Dialog voranzutreiben. Denn, wie der Koordinator des Zentrums, Sokol Lulgjuraj, Mitglied der katholischen Kirche betont: ein gutes religiöses Zusammenleben hätte es schon immer gegeben, aber keinen richtigen Dialog der Religionen.
"Das Zentrum hebt dies durch gemeinsame Veranstaltungen auf eine höhere Ebene der Zusammenarbeit", sagt Lulgjuraj.
Ein Land an der Grenze der Kulturen
Die Gründe für das friedliche Miteinander der Religionen in Albanien liegen in der Vergangenheit des Landes, sagt Arben Ramkaj, Leiter des Zentrums.
"Die Albaner haben immer zwischen Osten und Westen gelebt. Sie sind europäisch in vielen alten Traditionen, obwohl sie mehrheitlich Muslime sind. Auch Brücken der Kommunikation mit den Katholiken im Westen gab es immer wieder. Unsere multireligiöse Identität hat einen betont nationalen Charakter. Das ist einzigartig in Europa."
Ist Elbasan zu harmonisch, um wahr zu sein? "Man soll nicht denken, dass hier die Religionen verschmelzen und den Sinn verlieren. Nein, jeder bewahrt seine Identität, respektiert aber auch den Anderen", meint Lulgjuraj. "Gefährlich wird es erst dann, wenn wir den Kontakt mit den anderen Religionen vermeiden."
Religiöse Begegnungen gibt es in Elbasan reichlich. Fünf Feste der Gemeinden, ursprünglich mit einem religiösen Charakter, haben sich in Laufe der Zeit in Volksfeste für alle verwandelt. "Elbasan ist ein Erfolgsmodell, das man in der Balkanregion und in Europa in solch unruhigen Zeiten weiterverbreiten kann", sagt Arben Ramkaj.
Gefahren lauern aber auch hier: Immer wieder versuchen Islamisten, den religiösen Frieden im Land zu stören. "Wir wissen, dass eine der fünf Sprachen, die der sogenannte "Islamische Staat" spricht, albanisch ist. Das zeigt, dass unsere Region für den IS bedeutend ist, besonders, dort, wo mehrheitlich Muslime leben. Auch von Albanien und Kosovo aus gingen viele Kämpfer nach Syrien. Deshalb versucht der Theologenrat der Albanischen Muslime immer wieder den Imamen klar zu machen, dass wir die geopolitischen Entwicklungen vom Glauben trennen sollten", betont Ramkaj.
Lindita Arapi
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