"Gewaltlose Revolutionen sind kein Hippie-Traum"
Herr Riahi, Ihr Dokumentarfilm "Everyday Rebellion" hat von FilmkritikerInnen viel Lob erhalten und zahlreiche Preise gewonnen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen solchen Film zu drehen?
Arash T. Riahi: Meine Eltern sind Anfang der 1980er Jahre aus politischen Gründen mit meinem Bruder und mir nach Österreich geflohen. Seit über 30 Jahren ist es uns nicht möglich, in den Iran zu reisen. Als dann 2009 im Iran die sogenannte "Grüne Bewegung", also die Protestbewegung gegen die angebliche Wiederwahl Ahmadinedschads anbrach und wir uns die Videoaufnahmen der Proteste im Internet anschauten, wuchs bei mir und meinem Bruder das Bedürfnis, selbst aktiv zu werden. Wir konnten natürlich nicht auf den Straßen von Teheran mit den Menschen zusammen protestieren. Wir wussten aber, dass wir etwas anderes machen können: und zwar einen Film über diese Rebellion zu drehen, die für uns eine neue Form von Protestbewegung darstellte.
Was war denn das Neue an den Protesten im Iran?
Riahi: Sie zeichnete sich dadurch aus, dass sie horizontal verlief. Davor verliefen ja Revolutionen und Revolten immer vertikal, das heißt, dass es einen Führer an der Spitze gab, der die Massen anleitete, beispielsweise Fernseh- oder Radiostationen zu besetzen, um so die Botschaft der Protestierenden und der Revolution zu verbreiten. 2009 wurden wir aber Zeugen einer horizontalen Bewegung, die ohne Führer und ohne eine klare, von oben bestimmte Strategie auskam.
Anstatt die Medien zu besetzen haben Menschen mit ihren Handyaufnahmen selbst die Rolle der Medien übernommen. Diese Form des Protests wurde im Iran leider gewaltsam unterdrückt, tauchte dann aber in anderen Ländern wieder auf – etwa bei den Protesten in Tunesien und Ägypten im Rahmen des Arabischen Frühlings oder bei der Indignados-Bewegung und der Occupy-Bewegung in Spanien.
Und so wurde aus "Everyday Rebellion" mehr als ein Film über die Proteste im Iran...
Riahi: Richtig. Arman und ich haben erkannt, dass wir aufgrund der Gemeinsamkeiten, die diese Bewegungen mit der Revolte im Iran hatten, unsere ursprüngliche Filmidee modifizieren müssen. Alle genannten Protestbewegungen waren zwar ohneFührung, haben aber die Welt verändert. Wir haben recherchiert und sind zu der Erkenntnis gelangt, dass viele große Protestbewegungen, die die Welt veränderten, ohne Gewalt ausgekommen sind. Trotzdem waren sie höchst effektiv.
Je mehr wir uns im Rahmen der Vorbereitungen des "Everyday Rebellion"-Projektes mit gewaltlosem Widerstand auseinandergesetzt haben, desto mehr ist uns deutlich geworden, dass der Erfolg gewaltlosen Widerstands kein Hippie-Traum, sondern wissenschaftlich-empirisch bewiesen ist. So liegt die Wahrscheinlichkeit, dass gewaltloser Protest zum Ziel führt, zwei Drittel höher als die Erfolgschance einer gewaltsamen Revolte. Das ist auch logisch: Wenn ich meinem Gegner den Schädel zertrümmere, dann ist es natürlich, dass die Familie und die Verbündeten meines Gegners mir den Kopf einschlagen wollen. Der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt kann so nie gebrochen werden.
Was erhofften Sie mit "Everyday Rebellion" zu erreichen?
Riahi: Unser Ziel war, mit dem Film, der Online-Plattform Everydayrebellion.net und einer mobilen App ein umfangreiches Projekt zu kreieren, in dem wir die Taktiken des gewaltlosen Widerstands und des zivilen Ungehorsams sammeln und auf unserer Web-Plattform präsentieren, damit Menschen, die diese Methoden nutzen wollen, Ideen bekommen und sich gegenseitig inspirieren.
Bekommen Sie Feedback von Menschen, die Teil einer Protestbewegung sind? Erfahren Sie Wertschätzung für Ihr Projekt?
Riahi: Ja, und es freut uns sehr, dass die Online-Plattform und der Dokumentarfilm inzwischen von vielen Bewegungen in Anspruch genommen werden.
Unsere Doku wurde zum Beispiel im Rahmen der Istanbuler Gezi-Park-Proteste von türkischen AktivistInnen gezeigt. Als wir in der Türkei waren, haben wir mit ihnen Videoclips aufgenommen, in denen wir erklärt haben, wie man erfolgreich Häuser besetzen oder sich vor Tränengas schützen kann.
Auch bei den Maidan-Protesten in der Ukraine und, wie wir kürzlich erfahren haben, auch in Hongkong, wurde die Doku von politischen AktivistInnen einige Male open air gezeigt. Selbst syrischen Oppositionellen hat unser Projekt etwas gebracht. Kürzlich wurde eines unserer Anleitungsvideos von syrischen AktivistInnen mit arabischen Untertiteln versehen.
Bis wann planen Sie das Projekt "Everyday Rebellion" aufrechtzuerhalten?
Riahi: Wir hoffen, dass wir so vielen Menschen wie möglich mit unserem Projekt zur Seite stehen können. Wir haben aber das Problem, dass "Everyday Rebellion" nicht kommerziell ist. Deswegen haben wir kein Budget mehr, um die Plattform mit neuem Material zu versorgen Wir hoffen, dass wir genug Spenden bekommen, um unser Projekt mindestens für ein weiteres Jahr fortsetzen zu können.
Interview: Nahid Fallahi
Übersetzung und Überarbeitung: Jashar Erfanian