Atempause für den Monarchen

König Abdullah II. ist der eigentliche Gewinner der Parlamentswahlen in Jordanien. Die absolute Mehrheit königstreuer Abgeordneter im Unterhaus und der ausbleibende Reformdruck von außen verschaffen dem Monarchen Luft. Doch die Unzufriedenheit vieler Jordanier könnte schon bald wieder zu neuen Protesten führen. Einschätzungen von André Bank und Anna Sunik.

Von André Bank | Anna Sunik

Am 23. Januar 2013 wurden im haschemitischen Königreich Jordanien die ersten Parlamentswahlen seit Beginn des "Arabischen Frühlings" abgehalten. Wie bei früheren Urnengängen der letzten 20 Jahre wird auch das nächste Unterhaus aus einer absoluten Mehrheit königstreuer Vertreter der transjordanischen Großfamilien aus dem ländlichen Raum bestehen.

Alteingesessene Politiker wie Abdal Karim Dughmi, Saad Hayal Srour und Khalil Atiyeh haben den Wiedereinzug ins Parlament geschafft und dürften den zukünftigen Sprecher des Unterhauses unter sich ausmachen. Die konservative Tendenz setzte sich mit der Ernennung des aus dem südlichen Karak stammenden, früheren Ministerpräsidenten Fayez Tarawneh zum neuen Chef des diwan maliki, des königlichen Hofs, im Nachgang der Wahlen fort.

Im Unterschied zu den Wahlen 2010 machen die Loyalisten allerdings nicht mehr 90 Prozent, sondern "lediglich" rund 75 Prozent des Parlaments aus, während ungefähr ein Viertel der gewählten Abgeordneten (ungefähr 37 Parlamentarier) als unabhängig und tendenziell königskritisch eingeschätzt werden.

Diese Gruppe ist jedoch sehr heterogen und reicht von linken und liberalen Säkularen bis zu den moderaten Islamisten der Al-Wasat-Partei, deren Generalsekretär Muhammad Al-Haj 16 Sitze – drei über die nationale Parteiliste, 13 als unabhängige Kandidaten – für seine Partei beansprucht.

Stimmenauszählung in Amman, 23. Januar 2013; EPa/Jamal Nasrallah
Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung: Die Wahlkommission in Jordanien hatte das Ergebnis der Parlamentswahl bestätigt, zugleich aber auch "Probleme" während des Urnengangs eingestanden. Die Muslimbrüder zweifelten die Angaben zur Wahlbeteiligung gänzlich an und sprachen von Wahlmanipulation.

​​Im nächsten Unterhaus werden zudem 19 weibliche Abgeordnete vertreten sein, vier mehr als die Frauenquote von 15 Sitzen vorschreibt und mehr als je zuvor. Die programmatische und insbesondere personelle Fragmentierung dürfte es jedoch auch in naher Zukunft unwahrscheinlich machen, dass ein königskritischer Oppositionsblock im Parlament entsteht.

Die Politik der Zahlen

Die regelmäßigen Proteste der letzten beiden Jahre – und insbesondere die verstärkten Unmutsbekundungen Ende 2012 – hielten König Abdullah II. in Atem. Der Druck, zu "liefern" und seine Legitimität mit substanziellen Reformen zu bestätigen, stieg deutlich an.

Die Wahlen boten die lang erwartete Gelegenheit, den "Erfolg" des jordanischen Entwicklungswegs zu demonstrieren. Zentral dabei war die überraschend hohe Wahlbeteiligung von 56,6 Prozent – zum Vergleich: an den letzten Präsidentschaftswahlen in den USA 2012 partizipierten 57,7 Prozent, die Stichwahl zwischen Mohammed Mursi und Ahmed Shafik in Ägypten zog 51,9 Prozent aller Wahlberechtigten an.

Die Wahlbeteiligung lag trotz der Boykottaufrufe der Islamischen Aktionsfront (IAF), der Partei der oppositionellen Muslimbrüder, sowie der neuen Jugendbewegungen über dem Wert vorheriger Urnengänge. Allerdings erfasst die Zahl auch nur die etwa 70 Prozent der registrierten Wähler. Nimmt man die Anzahl der Wahlberechtigten als Berechnungsgrundlage (wie es bei den anderen oben genannten Wahlen der Fall ist) würde der neue Wert um die 40 Prozent liegen.

Proteste von Mitgliedern der Islamischen Aktionsfront in Amman, Januar 2013; Foto: Reuters/Majed Jaber
Jordaniens Königshaus unter Druck: Die Opposition fordert seit Monaten tiefgehende politische Reformen und Maßnahmen gegen die grassierende Korruption. In den vergangenen Monaten gab es bereits wiederholt Demonstrationen gegen den Abbau von Subventionen, steigende Benzinpreise und die anhaltende wirtschaftliche Misere im Land.

​​Die Wahlbeteiligung wurde auch von internationalen Beobachtern wie der EU-Wahlbeobachtermission sowie der Delegation des amerikanischen "National Democratic Institute" (NDI) bestätigt, die zudem auch keine größeren Vorfälle von Wahlbetrug berichtet haben.

Die oppositionellen Muslimbrüder behaupteten jedoch, dass es sich um eine sehr viel geringere Zahl handelte und kritisierten viele Ungereimtheiten am Wahltag selbst – insbesondere die massive Präsenz von rund 47.000 Sicherheitskräften in Wahlbüros, diverse Fälle von Stimmenkauf sowie die einstündige Verlängerung der Öffnung der Wahllokale.

Neues Gesetz, altes Ergebnis

Die Wahlen des jordanischen Unterhauses wurden unter dem reformierten Wahlgesetz vom Juni 2012 abgehalten. Zentrale Neuerungen gegenüber dem temporären Wahlgesetz von 2010 waren neben der erhöhten Frauenquote und der Zulassung internationaler Wahlbeobachter eine neue nationale Parteiliste, über die 27 der 150 Abgeordneten bestimmt werden, sowie die Einführung einer unabhängigen Wahlkommission unter der Leitung des ehemaligen Außenministers Abdul Ilah Khatib.

Außerdem verkündete der König, dass künftige Premierminister nach Rücksprache mit dem Parlament bestimmt werden sollen. Er sollte künftig nicht mehr vom Monarchen ernannt werden. Solange die königstreue Mehrheit des Parlaments erhalten bleibt, wirkt sich diese Änderung allerdings kaum sichtbar auswirken. Diese moderaten Reformen haben die massive Kritik am Wahlgesetz von 2010 ansatzweise aufgenommen, die strukturellen Probleme des immer noch auf dem "one man, one vote"-System von 1993 basierenden Gesetzes bleiben allerdings weiterhin präsent.

Dieses System sorgt im Wahlprozess für eine Stärkung des Tribalismus gegenüber der Parteiprogrammatik. Politische Parteien bleiben in Jordanien daher weithin irrelevant. Dies schwächt gerade auch palästinensische Kandidaten, die auf Parteilisten antreten. Die zudem fortbestehende, ungleiche Wahlkreiseinteilung bevorteilt die von königstreuen Transjordaniern dominierten ländlichen Gebiete gegenüber den historisch regierungskritischeren Städten Amman und Zarqa.

Im Großraum Amman lebt ein Großteil der palästinensischen Jordanier, die Schätzungen zufolge die Bevölkerungsmehrheit im Land stellen. Zudem hat die IAF als größte und einzige Massenpartei in Jordanien in Amman ihren Hauptsitz und die größte Unterstützerbasis. Trotz der vielen Änderungen wurden also alte Ergebnisse produziert und somit der politische status quo bekräftigt.

Nach den Wahlen, vor den Protesten?

Der jordanische König Abdullah II.; Foto: AP/Nader Daoud
Für König Abdullah II. ist die erste Wahl seit den arabischen Massenerhebungen vor zwei Jahren ein wichtiger Reformschritt. Doch der Muslimbruderschaft geht dieses Angebot nicht weit genug. Sie begründete ihren Wahlboykott damit, dass die Königstreuen durch das Wahlgesetz im Vorteil seien. Außerdem fordert sie eine Verfassungsänderung, die dem Parlament noch weitere Kompetenzen einräumt.

​​Für den Moment erscheint König Abdullah II. als der eigentliche Gewinner der jordanischen Parlamentswahlen vom 23. Januar. Die trotz aller Einschränkungen überraschend hohe Wahlbeteiligung, die weithin positiven Berichte der internationalen Wahlbeobachtermissionen sowie der ausbleibende Reformdruck der wichtigsten externen Finanziers des Königsreichs – die Golfmonarchien, dien USA und die EU – erlauben dem Monarchen eine politische Verschnaufpause.

Da jedoch die Unzufriedenheit in weiten Teilen der jordanischen Gesellschaft, insbesondere auch unter jüngeren Transjordaniern, fortbesteht, sind jedoch auch bereits für die nahe Zukunft neue Proteste zu erwarten. Kurzfristig könnten diese bereits durch die für Februar oder März zu erwartenden Subventionskürzungen für Strom und Benzin ausgelöst werden.

Im November 2012 hatten ähnliche Subventionskürzungen für Treibstoff bereits zu massiven Aufständen mit erstmaligen, wenn auch noch vereinzelten Forderungen nach dem Ende der Monarchie geführt.

Mittelfristig könnten sich in Jordanien Frustrationen Bahn brechen, wenn die neue, sich aus der stärksten Parlamentsfraktion rekrutierende Regierung nicht die zentralen Herausforderungen meistert: politische Reformen, Korruptionsbekämpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen.

André Bank & Anna Sunik

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de