Ein Teil der ägyptischen Identität

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten etwa 75.000 Juden in Ägypten. Nach dem Krieg von 1948 wurde ihr Leben dort immer schwieriger, so dass viele nach Europa auswanderten. In Andenken an die Juden Ägyptens hat Kamal Ruhayyim die Trilogie "Diary of a Muslim Jew" verfasst. Marcia Lynx Qualey stellt sie vor.

Von Marcia Lynx Qualey

Über Jahrzehnte hinweg kamen arabische Juden in Filmen und Romanen im Maghreb und Maschrek nicht mehr vor. In den seltenen Fällen, wo sie doch auftauchten, geschah dies meist im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt.

Seit etwa zehn Jahren aber erscheinen wieder Filme und Bücher, in denen gewöhnliche arabische Juden eine wichtige Rolle spielen – sei es in Syrien, Tunesien, im Jemen, Libyen, Ägypten, Irak oder Algerien. Zu den Autoren gehören der syrische Romancier Ibrahim al-Jubain mit seinem Buch "Diary of a Damascus Jew" (2007), der Iraker Ali Bader mit "The Tobacco Keeper" (2008) und Ali al-Muqri mit "The Handsome Jew" (2009). Die letzteren beiden waren viel beachtet und standen auf der Longlist für den International Prize for Arabic Fiction.

Kamal Ruhayyims „Exhausted Hearts: The Muslim Jew" (2004), in der englischen Übersetzung von Sarah Enany als "Diary of a Muslim Jew" erschienen, war der erste Teil einer Trilogie. Der zweite, vier Jahre später veröffentlichte Teil wurde übersetzt als "Days of the Diaspora" (2012), der dritte hieß dann "Days of the Return" und erschien im gleichen Jahr, allerdings bisher nur auf Arabisch.

Warum nun hat sich Ruhayyim, der zuvor als Polizist in Kairo und Paris gearbeitet hatte, dafür entschieden, arabischen Juden wieder ihren Platz in der arabischen Erzählkunst zukommen zu lassen? Wie andere Autoren, die in letzter Zeit Ähnliches unternahmen, stammt auch Ruhayyim nicht von jüdischen Eltern oder Großeltern ab. Sein Sohn Ahmed aber erzählt, dass sein Vater schon seit Langem der Ansicht ist, dass die arabischen Juden einen wichtigen Teil der arabischen Gemeinschaft bildeten, und er deshalb "ein Buch schreiben wollte, damit die Ägypter sich dieses Erbes bewusst werden und ihr Andenken bewahren."

Konfliktreiche Zeiten für arabische Juden

Der erste Roman in Ruhayyims Trilogie, "Diary of a Muslim Jew", erhielt viel Kritikerlob und fand ebenso viele begeisterte Leser. Er gewann damit im Jahr 2005 den State Encouragement Prize und wurde 2009, im Erscheinungsjahr des zweiten Bandes, noch einmal aufgelegt.

In den Geschichten geht es um das Leben Galals, des "muslimischen Juden", so genannt wegen seiner beiden religiösen Identitäten. Während die Familie seines Vaters muslimisch ist, ist seine Mutter jüdisch. Das erste Buch wird zu Beginn auf einnehmende Weise aus der Perspektive des Säuglings Galal erzählt, der im Körper eines sechs Monate alten Babys mit der Erzählstimme eines Erwachsenen spricht.

Cover of Kamal Ruhayyim's book "Diary of a Muslim Jew"
"The book's charm is not in its language, nor in any structural intricacies, but in its willingness to engage complex, interesting Jewish characters for themselves and not for how they shed light on contemporary politics," writes Marcia Lynx Qualey

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Geboren wurde Galal in der Mitte des 20. Jahrhunderts, als die Situation für die ägyptischen Juden immer bedrückender wird – ein historischer Moment, den auch Waguih Ghali für seinen bahnbrechenden, 1964 erschienenen Roman "Beer in the Snooker Club" wählte. Galals muslimischer Vater stirbt im Suezkrieg von 1956, ohne seinen Sohn gesehen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt kennen sich die beiden Hälften von Galals Familie noch nicht und es dauert noch einen Monat, bis seine Mutter vom Tod ihres geliebten Mannes erfährt.

Auch wenn der Beginn des Buches an einen historischen Moment geknüpft ist, beschäftigt sich die Geschichte kaum mit der offiziellen Historie. Stattdessen konzentriert sie sich auf die persönlichen Erfahrungen ihrer Protagonisten, vor allem auf die Konflikte, die zwischen Galal und seiner Mutter aufbrechen.

Der spirituelle Reiz des Islam im Vordergrund

Galal wird älter und von seiner Mutter und ihrer Familie großgezogen. Auch wenn er seinen Großvater bewundert, denkt er nie daran, den jüdischen Glauben zu praktizieren. Und tatsächlich wird der spirituelle Reiz des Islam sehr betont, auch als Galal noch ein sehr kleiner Junge war. Selbst jugendliche Gedankenspiele über eine Hinwendung zur jüdischen Glaubenswelt scheinen eine Grenzlinie zu sein, die das Buch nicht willens ist, zu überschreiten.

Gleichzeitig zeigt der Roman aber auch, dass es nur wenig Toleranz gegenüber Versuchen gab, Juden zum Islam zu konvertieren. Als es sich Galal im Alter von 18 Jahren in den Kopf setzt, seine Mutter von der Annahme des islamischen Glaubens zu überzeugen, hat dies geradezu slapstickhafte Folgen: Der Scheich der ortsansässigen Islamschule, Salamoni Abu Gamous, ist ein Grabräuber, ein Hochstapler und Fiesling, der immer wieder darauf besteht, dass alles "ganz einfach" über die Bühne gehen werde. Doch noch bevor sie an der Wohnung seiner Mutter angelangt sind, versucht Salamoni so viel Geld wie möglich von Galal zu erschwindeln.

Als sie dann endlich bei Galals Mutter ankommen, wird ihm klar, dass dieser Grobian ihm sicher keine Hilfe sein wird, doch weiß er nicht, wie er ihn wieder loswerden kann. Als sie bereits an der Tür angelangt sind, sind sie kurz davor, sich zu schlagen. Und alle Nachbarn werden Zeugen, als Salamoni laut verkündet, dass er gekommen sei, "um zu tun, was getan werden muss, um diese gottlose Frau zu retten."

Galals Mutter ist wütend: "Du willst ein Scheich sein? Du bist nichts als ein dreckiger alter Stiefel!“ Erst ihrem Nachbarn Hagg Mahmoud gelingt es, eine weitere Eskalation zu verhindern. Wie alle sympathischen Figuren in diesem Roman steht dieser seinen jüdischen Nachbarn offen gegenüber und belehrt Galal darüber, dass dessen Mutter doch einer Buchreligion angehöre.

Spannungen zwischen Mutter und Sohn

Auch wenn die Szene in einer moralischen Lektion endet, zeigt sie doch viel mehr als nur das. Es hat sich ein Graben zwischen Galal und seiner Mutter aufgetan. Zwar finden sie einen Weg, wieder miteinander zu sprechen, doch es gibt immer mehr Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Die Einstellung von Galals Mutter gegenüber Sexualität und Beziehungsfragen ist offener als es seine ist, aber sie ist engstirnig, wenn es um Menschen geht, die sie als „Bauern“ ansieht.

Auch das Stigma, das er mit sich trägt, weil er der Sohn einer Jüdin ist, schadet ihrer Beziehung. Dabei geht es nicht nur um Hänseleien in der Schule: Galal darf nicht das Nachbarsmädchen heiraten, das er verehrt.

Die Kluft zwischen ihm und seiner Mutter Camellia wächst, als sie verlangt, dass ihr Sohn die Familie seines Vaters um Geld bitten soll und um die Erlaubnis, nach Paris zu gehen. In Paris angekommen verbringt Galal schließlich viel Zeit bei seinen jüdischen Verwandten, doch nimmt diese Episode nur einen kleinen Teil im "Tagebuch eines muslimischen Juden" ein. Allerdings wird die Entfremdung Galals von seiner Familie in dieser Phase noch größer, was sich zeigt, als es ihm, schon auf dem Weg zurück nach Ägypten, unmöglich ist, die letzten Schritte ins Flugzeug zu setzen.

Der Charme des Buches liegt nicht in seiner Sprache, und auch seine Struktur ist nicht sehr ausgefeilt. Doch die Bereitschaft, sich komplexen, interessanten jüdischen Charakteren um ihrer selbst willen anzunähern - und diese nicht bloß als Staffagen zeitgenössischer politischer Konflikte abzutun -, ist es, was dieses Buch so einzigartig macht. In jedem Fall ist dem Autor ein einfühlsames und ergreifendes Porträt gelungen, das zudem Spaß am Lesen macht.

Marcia Lynx Qualey

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

© Qantara.de 2014