Kampf gegen sexualisierte Gewalt
Von 2012 bis 2015 konnte Medica Afghanistan insgesamt 1357 Klientinnen in den Städten Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat erreichen. Sie alle hatten sexualisierte Gewalt überlebt und nutzten psychosoziale Angebote der Nichtregierungsorganisation. Diese ließ 2016 eine Evaluierung dreier Projekte aus den Jahren 2012 bis 2015 durch externe Fachfrauen durchführen.
Die Expertinnen wendeten quantitative wie qualitative Methoden an, darunter 296 repräsentative Befragungen und 14 Tiefeninterviews mit Klientinnen von Medica Afghanistan. Hinzu kamen Gespräche mit Angehörigen. Außerdem werteten die Expertinnen Workshops mit den Mitarbeiterinnen von Medica Afghanistan aus sowie Rückmeldungen von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Ziel der Untersuchung war, das körperliche und emotionale Wohlbefinden der Klientinnen und ihre Zufriedenheit mit den psychosozialen Programmen von Medica Afghanistan zu erfassen.
Wille zur Veränderung
Die Hauptergebnisse lauten: 83 Prozent der Klientinnen denken, dass sie etwas bewirken oder verändern können. 78 Prozent der Frauen schätzen sich als selbstbewusst ein. Und sie kennen ihre Rechte und die Institutionen, an die sie sich wenden können. Gleichzeitig weisen aber fast alle Befragten, nämlich 98 Prozent, Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf.
Dieses zunächst paradox erscheinende Ergebnis deckt sich mit dem einer Studie aus dem Jahr 2014, in der die Organisationen medica mondiale und Medica Zenica die Langzeitfolgen sexualisierter Kriegsgewalt in Bosnien und Herzegowina untersucht hatten: Die Symptome einer PTBS bleiben bestehen, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen von den Betroffenen als unsicher, stigmatisierend und wenig unterstützend erlebt werden.
Viele der Befragtenbezeichnen die Angebote von Medica als Wendepunkt in ihrem Leben: "Mir geht es jetzt besser. Je öfter wir zu Medica Afghanistan gehen, desto weniger Schmerzen haben wir. (...) Die Psychologinnen sind gut und verstehen uns." Der Bericht lobt besonders die bestehenden Selbsthilfegruppen. Sie trügen dazu bei, die Unterstützung nachhaltig in den Gemeinden zu verankern. Die Gruppen stellten für die Frauen einen besonderen Schutzraum dar, in dem sie sich austauschen und gegenseitig stärken könnten. Denn: Soziale Bindungen setzen der traumatischen Erfahrung etwas entgegen.
Hilfe für Frauen in einem schwierigen Arbeitsumfeld
Die Erhebung zeigt auch, welch hohe Anerkennung Medica Afghanistan in der Zivilgesellschaft und bei staatlichen Stellen genießt. Die Evaluatorinnen betonen außerdem, in welch schwierigem Kontext diese Arbeit stattfindet. Die Sicherheitslage ist fragil, viele Menschen leben in großer Armut, Frauenrechte werden missachtet. Gesellschaftlich wie ökonomisch sind Frauen von männlichen Familienmitgliedern abhängig. Sich aus gewalttätigen Verhältnissen zu lösen stellt deshalb eine besondere Herausforderung dar.
Die Mitarbeiterinnen von Medica Afghanistan beschreiben ihre Arbeitsbedingungen als sehr herausfordernd und potenziell belastend. Trotzdem gaben in der Befragung nur wenige von ihnen an, erschöpft zu sein. 90 Prozent der Mitarbeiterinnen erleben ihre Tätigkeit als erfüllend und sind damit sehr zufrieden. Dies führen die Verfasserinnen der Untersuchung auf die im Team gelebte Kultur der Achtsamkeit und das Angebot an Fortbildungen zurück.
Trotz der insgesamt positiven Bewertung deckt die Evaluation auch Schwächen auf. So wird im Bericht vorgeschlagen, Vertraulichkeit in der Beratung konsequenter sicherzustellen. Zudem gelte es, die Feedbackmöglichkeiten für Klientinnen zu verbessern.
Das Fazit: Die Arbeit von Medica Afghanistan trägt entscheidend dazu bei, die afghanische Gesellschaft zu stabilisieren und zu befrieden. Nicht nur deshalb empfehlen die Evaluatorinnen, das Engagement der Frauenrechtsorganisation auf andere Regionen und Städte Afghanistans auszudehnen.
Mechthild Buchholz