Demokratie am seidenen Faden
Wie gut ist ein Verfassungsentwurf, der viele positive Paragraphen enthält, wenn ein nicht unwesentlicher Teil der politischen Landschaft aus der verfassungsgebenden Versammlung ausgeschlossen war, während gleichzeitig auf den Straßen der Polizeistaat tobt?
Das ist die Frage, die sich die Ägypter nun stellen müssen, nachdem die verfassungsgebende Versammlung über die 247 Artikel abgestimmt hat, der nun ein Referendum vorgelegt wird.
Auf dem Papier sehen viele der Paragraphen gut aus, mit einer wichtigen Ausnahme: Das ägyptische Militär hat sich seine Rolle in der Politik festschreiben lassen. Der Verteidigungsminister soll zumindest für die nächsten acht Jahre vom Militär selbst bestimmt werden.
Muslimbruderschaft unerwünscht
Noch problematischer war der Prozess, durch den der Entwurf zustande kam. Ausgerechnet jene, die bis zum Militärputsch vor fünf Monaten im Land die gewählte Macht inne hatten, die Muslimbruderschaft, war vollkommen ausgeschlossen. Mit dieser Verfassung wurde die ägyptische Gesellschaft also sicherlich nicht dort abgeholt, wo sie ist. Sie widerspiegelt keinen gesellschaftlichen Konsens.
Um das mit Biegen und Brechen durchzusetzen, hat sich ein Polizeistaat formiert, der dem der Zeiten Mubaraks in nichts nachsteht. Ein neues restriktives Demonstrations- und Versammlungsrecht tut das übrige und wird inzwischen längst nicht mehr gegen die Muslimbruderschaft, sondern auch gegen jeglichen Dissens der säkularen Tahrir-Aktivisten angewendet.Und das ironischerweise ausgerechnet von jenen, die behaupten, durch Massendemonstrationen gegen den Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Mursi an die Macht gekommen zu sein.
Wie in dieser Atmosphäre ein Verfassungsreferendum und Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden sollen, kann derzeit in Ägypten niemand so richtig erklären.
Der Fahrplan zu einem demokratischen Übergang steht jetzt auf dem Papier, aber Militär und Polizei stehen am Bahnhof Spalier und kontrollieren die Weichen, um sicherzustellen, dass der Zug nicht gegen ihren Willen in eine andere als die vorgegebene Richtung fährt.
Karim El-Gawhary
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de