Der geschmierte Wähler
Ende Oktober dieses Jahres sollen in Afghanistan Parlaments- und erstmals auch Distriktwahlen stattfinden. Mit Terroranschlägen gegen Zentren zur Wählerregistrierung versuchen Taliban und IS die Bevölkerung von der Ausübung ihrer demokratischen Rechte abzuhalten; im vergangenen April kamen bei einem solchen Anschlag in Kabul 57 Zivilisten ums Leben.
Neben der alltäglichen Terrorbedrohung untergraben auch Unregelmäßigkeiten und Manipulationen den demokratischen Prozess in Afghanistan. So bereits jetzt, während der Registrierung der Kandidaten, die noch bis Mitte Juni läuft. Um als Kandidat zugelassen zu werden, muss man bei der Wahlkommission belegen, dass man über eine Mindestanzahl an Unterstützern und ein Mindestvermögen verfügt.
Für Parlamentskandidaten werden der Nachweis der Unterstützung von mindestens 1.000 registrierten Wählern verlangt sowie ein Vermögen von 30.000 Afghani, etwa 420 US-Dollar. Für eine Bewerbung für die Distrikträte sind es 300 Wähler und umgerechnet 140 US-Dollar.
"Inhaltliche Überzeugungsarbeit bleibt Fehlanzeige"
"Um die Anforderungen im Hinblick auf Unterstützung durch Wähler zu erfüllen, gibt man also einfach den Wählern Geld, damit sie Kopien ihrer Papiere mit dem Registrierungsstempel herausgeben. Die können die Abgeordneten in spe dann bei der Behörde als Beleg für ihre angebliche Unterstützung durch die Wähler vorlegen", berichtet ein Bürger aus der Provinz Ghasni.
"Es geht nicht darum, dass man Wahlkampf mit einem überzeugenden Programm macht", sagt der Gewährsmann, der ungenannt bleiben möchte. Solche Wählerausweise werden in Kabul derzeit offen verkauft, der Preis schwankt zwischen umgerechnet sieben und 27 US-Dollar. "Eine Reihe von Möchtegern-Kandidaten hat mir Geld für eine Kopie meiner Wählerpapiere geboten, aber ich habe abgelehnt, weil ich nicht meine Zukunft verkaufen will", sagte Abdul Khaliq aus Kabul.
Yusuf Rashid von der NGO "Free and Fair Election Forum of Afghanistan" fordert die Unabhängige Wahlkommission auf, Schritte gegen diese Praxis zu unternehmen. "Dieses System ist Gift für unser Land und Parlament. Die Leute, die für ihre Unterstützung zahlen, werden versuchen, ihr Geld wieder hereinzuholen, sobald sie an der Macht sind", erklärt Rashid.
Allgegenwärtige Vetternwirtschaft und Korruption
Das lässt sich auch im jetzigen Parlament beobachten, Vetternwirtschaft und Korruption in den Reihen der Abgeordneten sind verbreitet, was ebenfalls zur Desillusionierung bei vielen Afghanen geführt hat, wie auch Berichte über Drogenschmuggel und Menschenrechtsverletzungen.
"Die Unabhängige Wahlkommission hat es bis jetzt nicht geschafft, das Vertrauen der Bürger in den Wahlprozess wiederherzustellen", sagt Fazal Ahmad Manawi, früherer Leiter der Kommission. Im April begann die landesweite Kampagne zur Wählerregistrierung, aber von den rund 14 Millionen Wahlberechtigten haben sich bislang nach offiziellen Angaben nur vier Millionen einen entsprechenden Eintrag in ihren Ausweis machen lassen. Manawi hält selbst diese Zahl für übertrieben: "Wir wissen, dass weniger als die genannten vier Millionen zur Registrierung gegangen sind."
Wird sich also das neue Parlament nicht wesentlich vom alten unterscheiden? Naim Ayobzada von der NGO "Transparent Election Foundation of Afghanistan" ist skeptisch: "Kandidaten, die Kopien von Wählerausweisen kaufen, haben keine Loyalität gegenüber den Wählern und werde nur daran denken, wie sie das Geld wiederbekommen können, das für ihre Wahl ausgegeben haben."
Hoffnung auf junge und engagierte Kandidaten
Andere hingegen glauben, dass die Wahlen der einzige Weg sind, damit Afghanistan vorankommt. Obiadullah Azizi, der sich für einen Distrikt-Sitz in der Provinz Balch bewirbt, hofft, dass die Beteiligung junger und gebildeter Kandidaten die Leute ermuntern wird, zur Wahl zu gehen.
"Keiner weiß schließlich, wo jemand sein Kreuz gemacht hat. Selbst wenn man seinen Wahlausweis einem Kandidaten für Geld zur Verfügung gestellt hat, kann man trotzdem für einen jungen, gebildeten und engagierten Kandidaten stimmen, dem man am meisten vertraut", sagt Azizi.
Tariq Iqtedari von der Organisation "Generation Positive" fordert die Wähler hingegen auf, auf Nummer sicher zu gehen. In seiner Social Media-Kampagne warnt er die Wähler davor, ihre Wahlausweise für Geld zur Verfügung zu stellen: "Wir sollten keine Fehler machen. Diejenigen, die heute Wählerausweise kaufen, werden unsere Interessen und die des Landes morgen verkaufen", heißt es in einer Facebook-Botschaft von "Generation Positive."
Saifullah Masood
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