Arabischer Zorn
Die anhaltenden Proteste in der arabischen Welt verweisen auf ein empfindliches Gleichgewicht: Auf der einen Seite die arabische Jugend, die enttäuscht darüber ist, dass ihre Regierungen scheinbar nicht bereit und nicht in der Lage sind, für die arabischen Rechte einzutreten. Auf der anderen Seite die arabischen Führer, die an einer gescheiterten Politik festhalten, um ihr Überleben zu sichern.
Gespeist wird der Zorn aus der anhaltenden Zurschaustellung der Unfähigkeit arabischer Regierungen, die israelische Besetzung aus dem Nahostkrieg 1967 rückgängig zu machen, der Bereitschaft, offen oder verdeckt mit Israel zusammenzuarbeiten, obwohl es kein israelisch-palästinensisches Friedensabkommen gibt, und - was noch schwerer wiegt - der Bereitschaft der Golfstaaten, einen US-Friedensplan zu unterstützen, der nicht einmal die minimalen palästinensischen Forderungen nach einem unabhängigen Staat erfüllt.
Eine explosive Mischung
Diesem Zorn liegt die Enttäuschung darüber zugrunde, dass die arabischen Regime sechs Jahre nach dem sogenannten Arabischen Frühling von 2011 und nach Jahren einer brutalen und gewalttätigen Konterrevolution unter Führung der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens, die die Errungenschaften der Aufstände überall außer in Tunesien zurückgedrängt hat, ihr Versprechen auf bessere Lebensbedingungen nicht einhalten können.
Diese explosive Mischung wird auch daran deutlich, dass die arabische und muslimische Welt als Reaktion auf den Vorstoß von US-Präsident Trump kaum mehr zustande bringt als halbherzige Äußerungen ohne erkennbare diplomatische Initiativen.
Praktisch keine arabische Regierung hat einen US-Botschafter oder -Geschäftsträger einberufen, um gegen Trumps Entscheidung zu protestieren. Die arabischen Führer haben auch nicht versucht, von Herrn Trump zu erfahren, was seine von offensichtlichen Widersprüchen und vagen Behauptungen durchsetzte Verlautbarung tatsächlich bedeutet. Nur der palästinensische Präsident Mahmud Abbas zog eine klare Linie, indem er ankündigte, sich nicht mit US-Vizepräsident Mike Pence bei dessen anstehendem Nahostbesuch zu treffen.
Die Strategie der arabischen Führer scheint darauf ausgerichtet zu sein, Trumps Vorgehen verbal zu verurteilen und zu hoffen, dass die Proteste bald abflauen. Und tatsächlich haben sie allen Grund zu der Annahme, dass es schwierig sein wird, den Mobilisierungsgrad auf den Straßen Jerusalems, in palästinensischen Städten und in arabischen Hauptstädten aufrechtzuerhalten.
Gewaltsamer Dissens als Folge der Konterrevolution
Ihre repressive Politik und der chaotische und gewaltsame Dissens des Nahen Ostens als Folge der Konterrevolution hat den Appetit auf erneute Massenproteste gegen die Regierung gedämpft, obwohl Gruppen, wie die islamistische Hamas im Gazastreifen und die von Iranern unterstützte schiitische Miliz Hisbollah im Libanon, zur dritten Intifada und zum Aufstand gegen Israel aufrufen.
Dies könnte sich mittelfristig als riskantes Vorhaben erweisen. Wenn die arabischen Revolten und der Vormarsch des Extremismus irgendetwas bewiesen haben, dann die Tatsache, dass arabische Führer Frust und Ärger auf eigene Gefahr ignorieren. Der öffentliche Zorn macht sich häufig eher spontan als planmäßig Luft.
Die Führer der Golfstaaten sind sich der damit verbundenen Bedrohung nicht gänzlich bewusst. Angesichts sinkender Öleinnahmen haben sie Reformvorhaben zur Diversifizierung und Rationalisierung ihrer Rentenökonomien angekündigt. Gleichzeitig wollen sie soziale Restriktionen lockern, Sozialverträge einseitig umschreiben und die politische Kontrolle verschärfen. Dennoch müssen auch jene Führer, wie der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, Arbeitsplätze schaffen und bessere wirtschaftliche Chancen eröffnen.
Unter Ausschluss der Bevölkerung
Die Frage ist auch, inwieweit die Führer der Golfstaaten ein offenes Ohr für die Belange ihrer Bevölkerung haben. Bahrain, ein saudischer Verbündeter, der kaum Maßnahmen ohne Rücksprache mit Riad ergreift, erlaubte einer 25-köpfigen interreligiösen Gruppe trotz Trumps Vorstoß einen Besuch in Israel.
Bahrain hätte kaum einen schlechteren Zeitpunkt für seine Entscheidung wählen können, gegen einen von den Saudis initiierten arabischen Friedensplan aus dem Jahr 2002 zu verstoßen, der einst von der 57-köpfigen Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) verabschiedet wurde und der eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel nur dann vorsieht, wenn sich der jüdische Staat aus den während des Nahostkriegs von 1967 eroberten Gebieten zurückzieht.
Diese Episode bestärkt die Demonstranten in ihrer Überzeugung, dass die arabischen Führer der Festigung der informellen Beziehungen zu Israel als Verbündeter gegen den Iran größere Bedeutung beimessen als dem Schutz der arabischen und muslimischen Rechte.
Obwohl sie nicht gewillt sind, ihre Beziehung zu Washington trotz der sehr emotionalen Kontroverse um die drittheiligste Stadt des Islam zu gefährden, versäumen es die arabischen Führer paradoxerweise bisher, den Spielraum auszunutzen, den die Erklärung von Präsident Trump bietet.
Parteiisch und vage
Eine sorgfältige Lektüre von Trumps Erklärung lässt Raum für Interpretationen, auch wenn es kaum Zweifel an der Absicht des Präsidenten gibt, die Position Israels zu stärken. US-Offizielle, darunter auch der UN-Botschafter Nikki Haley, hatten alle Mühe zu erklären, wie die Verlautbarung dem Friedensprozess dient, ohne gleichzeitig die Anhängerschaft von Trump vor den Kopf zu stoßen, die den israelischen Anspruch auf ganz Jerusalem unterstützt.
Trump bediente seine Basis, indem er darauf verzichtete, die Anerkennung Jerusalems mit einem Verweis auf palästinensische Forderungen einzuschränken. Allerdings erklärte er, dass er dem Ergebnis der Friedensverhandlungen nicht vorgreifen wolle.
Der Präsident bestand darauf, dass die Vereinigten Staaten "weiterhin keine Stellung zu möglichen Fragen über den endgültigen Status beziehen. Die konkreten Grenzen der israelischen Souveränität in Jerusalem sind Gegenstand von Verhandlungen über den endgültigen Status zwischen den Parteien. Die Vereinigten Staaten beziehen keine Stellung zu Grenzziehungen oder Grenzen."
Die arabischen Führer könnten sich selbst als Vorkämpfer ausgeben, indem sie Herrn Trump um Klärung bitten, ob und wie er die Anerkennung der israelischen Souveränität über Jerusalem einschränken möchte, was den Status der palästinensischen Bevölkerung der Stadt und der israelischen Siedlungsaktivitäten in Ost-Jerusalem angeht.
Freibrief zur Vertreibung der Palästinenser
Der ehemalige saudische Geheimdienstchef und Ex-Botschafter in London und Washington, Prinz Turki al-Faisal, nahm augenscheinlich darauf Bezug, als er in einem offenen Brief an Trump warnte: "Ihre Maßnahme hat die extremsten Elemente in der israelischen Gesellschaft ermutigt...weil sie Ihre Maßnahme als Freibrief zur Vertreibung der Palästinenser aus dem eigenen Land und zur Unterwerfung unter einen Apartheid-Staat sehen."
Inmitten der aufschäumenden Emotionen bewegen sich arabische Führer und Demonstranten auf einem schmalen Grat. Der Zorn der Demonstranten richtet sich nicht allein gegen Herrn Trump. Der Zorn speist sich auch aus den zahlreichen politischen Misserfolgen des arabischen Führungspersonals. Die arabischen Führer müssen sich auf der richtigen Seite der öffentlichen Meinung einordnen, ohne die Unruhen anzuheizen.
Wenn es beim Vorstoß von Donald Trump einen Silberstreif am Horizont gibt, könnte dies das Bedürfnis der arabischen Führer sein, die Kluft zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und ihrem Überlebensinstinkt zu überbrücken. Doch bislang haben sie die Chance nicht genutzt, sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die den US-Präsidenten zu einer Stellungnahme auffordert.
James M. Dorsey
Aus dem Englischen von Peter Lammers