Fließende Grenzen zwischen erlaubten und verbotenen Klängen
Herr Sadighi, stellen wir uns folgende Situation vor: Ihr Label und ein Künstler finden eine Einigung, einer Produktion steht nichts mehr im Wege. Aber da wäre ja noch die notwendige Erlaubnis des Ministeriums für Kultur und islamische Angelegenheiten ("Ershad"). Hatten Sie bereits mit solchen Problemfällen zu tun?
Ramin Sadighi: Ich bin damit ganz und gar nicht einverstanden, dass man als Künstler vom Ministerium eine Erlaubnis einholen muss. Denn so etwas richtet sich nicht nur gegen die Arbeit eines Künstlers, sondern gegen die Gesellschaft insgesamt…
Entschuldigen Sie, dass ich Sie an diesem Punkt unterbreche, aber welche Instanzen muss man als Künstler durchlaufen, um die notwendige Erlaubnis schlussendlich zu erhalten?
Sadighi: Es gibt drei Hürden: Wenn es sich bei der künstlerischen Produktion um Gesang handelt, muss das Ganze zunächst von einem sogenannten Gesangsausschuss genehmigt werden. Beleidigungen der islamischen Religion sowie politische Inhalte sind nicht zulässig. Doch genau hierin liegt die Schwierigkeit. Denn viele Künstler im heutigen Iran wollen mit ihren Liedern auf die sozialen Probleme in ihrem Land hinweisen. Und wenn der Gesangsausschuss bestimmte Punkte nicht in Ordnung findet, bekommt man eben keine Genehmigung. Die Entscheidungen sind dann auch noch abhängig vom jeweiligen "Bewertungsteam" des Ausschusses. Man kann nie sagen, wo die Grenze des Erlaubten und Verbotenen eigentlich verläuft.
Was ist mit klassischen Liedern? Gibt es auch hier ähnliche Probleme?
Sadighi: Ja, Manche Lieder handeln von der Liebe, wie beispielsweise einige Werke von Molana (Dschalal ad-Din Muhammad Rumi). Oft wird angeordnet, dass der ein oder andere Vers entfallen muss.
Und was folgt, wenn man es tatsächlich geschafft hat, eine Erlaubnis vom Gesangsausschuss zu bekommen?
Sadighi: Danach ist das musikalische Produkt insgesamt genehmigungspflichtig, um veröffentlicht zu werden. Die komplette künstlerische Darbietung wird vom sogenannten Musikkomitee geprüft. Wenn diese Hürde genommen wurde, kann die Musik dann endlich produziert werden. Doch im Produktionsverlauf können auch persönliche Kontrollen der Künstler vorgenommen werden.
Zu Beginn des Gesprächs kritisierten Sie diese Art der systematischen Kontrolle. Warum?
Sadighi: Ich bin mit der Musik- und Textkontrolle nicht einverstanden. Denn diese Kontrolle suggeriert, dass man nicht fähig oder gebildet genug ist, um selbst zu entscheiden, ob eine Musik gut oder schlecht sei. Meiner Meinung nach sind es aber die Zuhörer, die noch am besten darüber urteilen können, was gut und was schlecht ist.
Wie erklären Sie sich diese Form der Bevormundung und Kontrolle?
Sadighi: Das hängt mit der Kulturpolitik unseres Landes zusammen. Man will den Leuten sagen, was gut und schlecht ist. Aber wenn Sie genauer hinschauen, merken Sie, dass die Musik, die in der ganzen Welt produziert wird, am nächsten Tag in Teherans Läden zum Verkauf zur Verfügung steht – auch wenn vieles davon eigentlich verboten ist. Wieso wird das nicht gestoppt, frage ich mich, und versuche in der Zwischenzeit gute Musik zu produzieren.
ECM Records aus München scheinen mit Ihrem Label eng verbunden zu sein. Welche Gemeinsamkeiten gibt es, was hat Sie zusammengeführt?
Sadighi: Als ich sechs Jahre alt war, habe ich meine erste Platte von ECM von meinem Onkel bekommen, weil er der Meinung war, dass ich diese Platte, ein Album von Chick Corea namens "Return to Forever", hören sollte. Mich hat vor allem das LP-Cover beeindruckt, das einen über das Meer fliegenden Flamingo darstellt. Dass die Platte von ECM Records produziert wurde, war mir damals gar nicht bewusst. Erst viel später, als ich mich etwas mehr im Musikbereich auskannte und Musikzeitschriften las, lernte ich die Arbeiten von ECM kennen.
In diesem Zusammenhang ist Manfred Eicher für mich ein wahres Vorbild. Er ist jemand, der in der Lage war, 43 Jahre lang erfolgreich in diesem Business zu arbeiten. Zweifelsohne: Ich bin ein ECM-Fan und dazu stehe ich!
Manfred Eicher hatte gewiss eine bestimmte Musikphilosophie und Auffassung von Musik, die er konsequent verfolgte. Inwieweit ist diese Kontinuität auch für Sie von Bedeutung?
Sadighi: Sie ist meiner Meinung nach sehr wichtig! ECM hat nämlich unabhängig vom Musikmarkt genau das getan, was die Label-Betreiber selber für wichtig hielten. Und mit viel Geduld und guter Arbeit ist auch das Publikum auf diesen Geschmack gekommen.
Zu einem Ihrer erfolgreichen Musikproduktionen zählt das jüngste Album des iranischen Liedermachers Soheyl Nafissi. Jemand schrieb in einem Artikel, dass er das Album offenbar so hervorragend fand, dass er sogar bereit wäre, sich auch noch das Original zu kaufen – der Künstler hätte es sich verdient! Inwiefern schaden Copyrightsverletzungen Ihrem Label und den Künstlern?
Sadighi: Sie schaden uns sehr. Doch viele Iraner wissen überhaupt nicht, dass ein Künstler genau von diesen Musikproduktionen lebt. Wenn die Musik wie Luft für uns wäre, dann wäre folglich auch der Konsum für uns kostenlos. Wenn man sagt, "der Künstler hat sich das verdient", dann impliziert das natürlich eine gewisse Gefälligkeit. Als ob der Künstler anderweitig sein Geld verdient und an irgendeiner Erdölquelle sitzt! Und ich gebe ihm jetzt also 5.000 Tuman, umgerechnet ein Euro, damit er sich freut…
Ein anderes Beispiel: Als Hermes Records das Album "Be Tamashaye Abhaye Sepideh" produzierte und wir uns damit für die Grammy Awards bewarben, ist ein Zahnarzt aus Kerman zu uns nach Teheran gekommen und hat uns einen großen Blumenstrauß mitgebracht, um sich für das tolle Album zu bedanken. Außerdem hat er uns erzählt, dass er in den vergangenen zwei, drei Jahren das Album für 200-300 Leute kopiert hätte. Er erzählte das in einem sehr freundlichen Tonfall und glaubte wirklich, dass er damit etwas Gutes getan hätte. Genau solche Leute müssen darauf hingewiesen werden, dass das Kopieren von Musikalben nicht erlaubt ist. Man darf diese Personen, die illegal kopieren nicht als Sündenböcke darstellen, doch man muss sie wirklich gründlich aufklären.
Hatten die bisherigen Sanktionen gegen den Iran auch negative Auswirkungen auf Hermes Records? Beispielsweise was die Bereitstellung von Aufnahmegeräten und die Musikproduktionen angeht?
Sadighi: Die Sanktionen wirken sich auch negativ auf uns aus – und zwar in direkter Form. Noch vor vier, fünf Jahren konnten wir unsere Produkte problemlos international absetzen, doch dann wurden wir mit dem Problem konfrontiert, dass aufgrund der Sanktionen im Bankensektor wir unsere Gelder nicht zugeteilt bekommen konnten.
Früher konnten Käufer das Geld auf ein Visa-Konto überweisen. Doch mit dem Beginn der Sanktionen mussten die ausländischen Banken ihre Verträge mit den im Iran ansässigen Kunden schließen. Das bedeutet, dass ich nur noch über viele Umwege, die auch Transferkosten mit einschließen, an mein Geld komme. Ganz nach dem Motto: Überweisen Sie das Geld an meinen Cousin und der gibt es weiter an Herrn So-und-So, bis ich es dann irgendwann bekomme. Es ist auch eine Prestige-Frage. Die Leute fragen: "Sie haben doch eine registrierte Firma und ein Renommee – warum muss ich dann das Geld an ihren Cousin überweisen?"
Ein weiteres Problem ist, dass die Produktionskosten gestiegen sind. Papier ist im Iran inzwischen recht teuer geworden, ebenso die Druckkosten, das Studio-Equipment und die Rohstoffe für die Produktion, wie etwa Granulat und Kunststoffe für die CD-Hüllen. Wenn diese Kosten steigen, dann steigt natürlich auch unser Endpreis. Und je mehr unser Preis steigt, desto mehr müssen wir mit Copyrightverletzungen rechnen.
Das Interview führte Shahram Ahadi.
Übersetzt aus dem Persischen von Shohreh Karimian
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