Blitztaufe für ein Bleiberecht
Auch an diesem trüben Sonntagmorgen treffen sie sich zum "Tisch des Herrn": Gläubige Christen aus dem Iran, Pakistan, Taiwan, China, den USA und Afghanistan sind in einem Privathaus in Frankfurt zusammengekommen, um nach dem gemeinsamen Gottesdienst eine Gruppentaufe zu vollziehen.
Acht "Schwestern" und zwei "Brüder" steigen in weißen Gewändern in die Badewanne der Privatwohnung nebenan und verlassen diese nach der Taufe als Christen wieder. Danach ein gemeinsames Mittagessen, gratis für alle.
"Sie haben mich einfach ins Wasser gelegt, mich dann wieder herausgeholt und es war gut. Alle waren happy und ich natürlich auch", sagt Amina Husseini. Die 19-jährige Afghanin, die ihren richtigen Namen nicht nennen will, ist vor einigen Wochen vom Islam zum Christentum konvertiert.
Sie sieht abgemagert aus, klagt über Haarausfall und hat große dunkelbraune Augen mit abwesendem Blick. Die schwarzen Leggins sind viel zu groß und der grüne Rollkragenpulli viel zu dünn für diese Jahreszeit. "Ich bin nicht die Einzige hier, die Christin geworden ist. Meine Freundin und ihr Mann haben durch mich auch zu dieser Kirche gefunden."
Aus Taiwan eingeflogen: Missionare werben gezielt
Seit Deutschland eine größere Zahl von Flüchtlingen aufgenommen hat, sind Glaubensübertritte vom Islam zum Christentum stark gestiegen. Die Evangelische und katholische Kirche sowie die Freikirchen registrierten 2016 jeweils mehr als 1.000 Konversionen – so viele wie in den letzten 50 Jahren zusammen nicht, sagt der Religionssoziologe Thomas Schirrmacher.
Viele, die sich schon in ihren Herkunftsländern dem Christentum verbunden fühlten, nutzten seit 2014 die Migrationsbewegung um sich hier in Deutschland taufen zu lassen. An erster Stelle seien es Iraner, gefolgt von Menschen aus Pakistan und Afghanistan.
Gegenwärtig aber nutzen auch Sekten oder sektenähnliche Gruppen die Angst der Flüchtlinge vor Abschiebung. Sie locken gezielt mit Blitztaufen, Fahrtkostenerstattung und Mittagessen gratis. Der Erstkontakt zu den Flüchtlingen findet meist schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen statt, wo die Missionare durch soziales Engagement zunächst auf sich aufmerksam machen.
"Sie haben uns geholfen, gaben uns Stifte, Papier, Schuhe, Schokolade und solche Dinge. Sie waren sehr, sehr nett und haben mir die Kirche in Frankfurt gezeigt", sagt Amina Husseini. Gemeint sind christliche Taiwanesen, die von ihren geistlichen Führern aus Taiwan für drei Monate nach Deutschland geschickt werden, um gezielt unter afghanischen Flüchtlingen zu missionieren, sagt Sophia. Sie ist eine von ihnen. Nach drei Monaten, sagt sie, sei der Job erledigt und die nächste Gruppe werde eingeflogen.
Der Stempel des Taufscheins von Amina Husseini verweist auf den unverfänglichen Namen "Die Gemeinde in Frankfurt am Main e.V.". Der Verein hat offenbar Verbindungen zu den Ortsgemeinden von Watchman Nee und Witness Lee, eine weltweit verbreitete christliche Bewegung aus China. Laut Sekten-Info NRW habe diese Kirche fundamentalistische Züge und sei für ihren geistigen Kampf gegen den Isam bekannt.
Blitztaufe ohne Bibeleinweisung
Die Glaubensboten dieser Bewegung werben mit ungewöhnlichen Methoden. Das Motto: zuerst die Taufe, dann die Glaubenseinweisung – ein aus hiesiger Sicht eher unseriöses Vorgehen. "Der Pfarrer hat gesagt, ‚Wenn Du Christin werden möchtest, dann musst Du Dich zuerst taufen lassen. Danach beten wir jede Woche zusammen und bringen Dir bei, was in der Bibel steht'", sagt eine 22-jährige Afghanin, die wir Mariam nennen. Sie ist über Amina Husseini zu den Taiwanesen in Frankfurt gekommen und hat sich am 1. Januar 2017 dort taufen lassen – gefolgt von ihrem Ehemann, der ebenfalls Christ geworden ist.
Wer in Deutschland zum Christentum konvertieren möchte und sich für die katholische oder evangelische Kirche entscheidet, wird einen monatelangen Bibelkurs besuchen müssen. Ernsthafte Gespräche mit Geistlichen gehören ebenso zur aufwendigen Vorbereitung im Vorfeld einer Taufe. Ist ein Pfarrer nicht von der Ernsthaftigkeit eines Glaubensübertritts überzeugt, findet im Zweifelsfall auch keine Taufe statt.
In afghanischen Flüchtlingskreisen hat es sich längst herumgesprochen, dass man über die Taiwanesen in der Finanzmetropole schnell zum Taufschein gelangt. Doch für die betreffenden Flüchtlinge aus Afghanistan könnte eine Konversion zum Christentum fatale Folgen haben. "Für viele Muslime ist die Sache hoch gefährlich, weil im Islam eine Strafe auf Apostasie und Blasphemie steht", sagt Thomas Schirrmacher, Leiter des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit.
Apostasie, also der Abfall vom Glauben, in diesem Falle vom Islam, führe im Regelfall dazu, dass die Familie die "Abtrünnigen" verstoße. "In Afghanistan gibt es einen Kampf auf Leben und Tod zwischen dem offiziellen Islam und allen abweichenden Formen sowie dem Christentum", so Schirrmacher weiter.
Wer täuschen will, muss mit Abschiebung rechnen
Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führt die Konversion eines Asylbewerbers dann zur Schutzgewährung, wenn den Betroffenen wegen des Glaubensübertritts im Herkunftsland Verfolgung droht. Für die Behörde aber ist die Taufe in Deutschland ein sogenannter "selbst geschaffener Nachfluchtgrund", der genauer untersucht werden muss.
"Bei Menschen, die eher nicht aus Gewissensgründen konvertieren, wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ziemlich schnell feststellen, wie tief der Glaube bei den Menschen wirklich ist", sagt Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat. Die Behörde oder die Verwaltungsgerichte stellten ganz spezielle Fragen, etwa zu Bibelstellen oder zur Abfolge von Gebeten.
"Wenn die Flüchtlinge diese Fragen nicht beantworten können, ist es für das Bundesamt ein zentraler Hinweis darauf, dass sie eher aus taktischen Gründen konvertiert sind", so Prölß weiter. In Bezug auf Konversionen sei die Entscheidungspraxis bei Asylverfahren sehr unterschiedlich. Manche Konvertiten erhalten den rechtlichen Status der Flüchtlingseigenschaft, insbesondere wenn die Verfolgung im Heimatland droht. Anderen wiederum wird ein Glaubensübertritt aus taktischen Gründen unterstellt. Die Betroffenen müssen dann mit einem negativen Bescheid rechnen. Rein rechtlich greift im Anschluss daran das reguläre Ausländerrecht. Die Frage der Abschiebung stelle sich in der Regel erst später.
Amina Husseini ist sich des Risikos bewusst, das sie mit der Konversion zum Christentum eingegangen ist. "Sie werden mich töten, wenn ich zurückkehre." Doch die Hoffnung, dass der Taufschein der "Gemeinde in Frankfurt am Main e.V." sie vor einer Abschiebung bewahren werde, scheint größer.
Ulrike Hummel
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