Die Musik ist ein Mysterium
Die RuhrTriennale setzt sich 2008 mit verschiedenen Arten und Wahrnehmungen des Fremdseins auseinander: Migration, Exil und Entfremdung – sich selbst und anderen gegenüber.
Jürgen Flimm hat dieses Jahr Mike Herting, einen hervorragenden Pianisten, damit beauftragt, folgende Fragen musikalisch zu beantworten: "Welche Musiker aus der Fremde leben in Nordrhein-Westfalen? Wie ist ihre Beziehung zu ihrer eigenen Kultur und wie positionieren sie sich im Verhältnis zu musikalischen Traditionen in Deutschland?"
Für seine dreiteilige Konzertreihe unter dem Haupttitel "Spurensuche" brachte Herting schließlich über 60 Musiker aus mehr als 25 Nationen zusammen.
Musikalischer Dialog
Auf die Frage, ob die Konzertreihe einen Beitrag zur Integration leistet oder einfach zeigt, dass Leute aus den unterschiedlichsten Ländern, ohne über Integration nachzudenken, sehr gut zusammenarbeiten können, reagiert Mike Herting unerwartet:
"Über den Begriff der Integration habe ich in diesem Zusammenhang eigentlich gar nicht nachgedacht. Und auch mit Absicht nicht", so Herting. Der Grund: "Weil man sehr leicht in den Ruf der Moralität des erhobenen Zeigefingers kommt. Die Entstehung der Musik ist ein magischer Moment, ein Mysterium. Die so genannten wichtigen Unterschiede wie Religion und Rasse haben keine Bedeutung mehr, wenn man einfach Musik macht und sich auf andere Musiker einlässt".
Beim Instrumentalkonzert "Spurensuche Oriental-Okzidental" versuchen Musiker aus dem Orient, denen Deutschland eine zweite Heimat geworden ist, mit Musikern aus dem Westen und der Tradition der westlichen Musik in ihrer universalen Sprache, der Musik, zu kommunizieren. Dass die Musiker einander kaum kennen, ist daher auch nicht weiter problematisch.
Im ersten Teil des Konzerts treten zwei herausragende deutsche Interpreten der mittelalterlichen Musik, der Flötist Norbert Rodenkirchen und der Geigenspieler Albrecht Maurer, mit zwei irakischen Musikern, dem Sänger und Perkussionist Saad Thamir und dem Djozenspieler Bassem Hawar auf.
Die Musiker eröffnen mit einem Stück, das wie die Todesklage klingt. Während die irakischen Melodien weinen, bekunden die deutschen Instrumente ihr Beileid. Ein weltmusikalisches Requiem.
Die "leckere" irakische Kniegeige
Bassem Hawar spielt die alte irakische Kniegeige, Djoze. Als er während des Konzerts sein Instrument dem Publikum vorstellt, erzählt er, wie "lecker" es war. Seine Kniegeige hat Hawar nämlich aus einer Kokosnuss hergestellt, deren Fruchtfleisch er dann mit Vergnügen aufgegessen hat.
Thamir spielt Daf, Darbuka und Raq. "Früher haben wir versucht alles zu hören, was uns neu ist. Jetzt können wir mitspielen. Wenn man mitspielt, begegnet man anderen Ideen, anderer Logik. Musiker spielen vielleicht die gleichen Noten, aber denken dabei an andere Sachen", so Thamir.
Im zweiten Teil begegnet Paul Shigihara, der außergewöhnliche deutsch-japanische Jazzgitarrist, dem großen afghanischen Robab-Virtuosen Daud Khan. Sie werden von seinem jungen Sohn Dorran Ahmad Sadozai, sowie dem Tablaspieler Yama Karim begleitet.
Das erste Stück ist fröhlich - bildlich gesprochen genau so, als ob eine afghanische Braut auf einem Esel zu ihrer Hochzeitsfeier gebracht würde. Im zweiten Stück beobachtet dann die westliche Gitarre die afghanische Musik, gibt ihr Mut und zeigt der afghanischen Braut den neuen Heimweg.
Im dritten Teil präsentiert der marokkanische Perkussionist Rhani Krija gemeinsam mit dem indischen Trommler Ramesh Shotham ein Perkussionsensemble, das speziell für diesen Abend zusammengestellt wurde.
Weitere Mitspieler sind der ivorische Balafonspieler Ali Keita, der türkische Darbukaspieler Fethi Ak und die iranischen Musiker Behnam und Reza Samani. Die gleiche Melodie wird von jedem Trommler neu improvisiert. Jeder Musiker zeigt, was sein Instrument zu sagen hat.
Der marokkanische Perkussionist Rhani Krija, der auch schon in der Band von Sting spielte, sagt: "Die Leute suchen sehr oft nach Differenzen, aber wenn Musiker aus unterschiedlichen Kulturen auf der Bühne stehen, suchen sie immer die Gemeinsamkeiten. Wenn man zusammenspielen will, sucht man besser die Gemeinsamkeiten, nicht die Differenzen. Vielleicht sollten Politiker Musikunterricht nehmen."
Im vierten und letzten Teil trifft Mike Herting mit seinem Keyboard auf einen Musiker, der zu den weltbesten Altsaxophonisten zählt:
Charlie Mariano. Der Amerikaner lebt seit 20 Jahren in Köln. Er hat in Indien studiert. In seiner Person vereinen sich Orient und Okzident wie bei keinem anderen. Obwohl er bereits 84 Jahre alt ist, spielt er sehr energisch und vital. Am Ende des Konzerts zeigte der Jazz seine Stärke. Nach zwei Stücken kommen auch die anderen Musiker wieder auf die Bühne. Ein stimmungsvolles Treffen musikalischer Seelen.
Efser Karayel
© Qantara.de 2008