Das Drama der Proteste
Diese Zusammenstellung des Buches vermittelt zweifelsohne einen umfassenden Eindruck von den Aufständen, die weit über die zahllosen Straßenproteste und den Politikwechsel in der Zeit der Arabellion hinausgehen. Warum also die Fixierung auf den Begriff "Revolution"? In Gespräch mit Qantara.de erklärt Maggor, sie hoffe, dass "das Wort 'Revolution' im Titel die Leser dazu ermutigt, diese Stücke in einem globaleren Kontext von 'Protestdramen' zu sehen".
Aber dafür, dass auch Stücke enthalten sind, die bereits vor 2011 geschrieben wurden, gibt es noch einen weiteren Grund: Der Ausdruck "ägyptische Revolution" wird meist mit Protesten in Verbindung gebracht, die am 25. Januar 2011 begannen und zur Amtsenthebung von Husni Mubarak führten. Ihr eigentlicher Anfang aber geht auf den politischen Wandel des Jahres 2005 nach Mubaraks umstrittener Präsidentschaftswahl, der "Kifaya"-Bewegung ("Es reicht") und einer neuen Welle unabhängiger Blogger, Künstler und Journalisten zurück.
Die Stücke der Tahrir Tales-Sammlung wurden während dieser neuen Welle zwischen 2008 und 2014 verfasst – einer Zeit, die, wie Maggor meint, "das Zwielicht zwischen dem Mubarak-Regime und dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Al-Sisi umfasst".
Eine "Komödie der Sorgen“
Der Zündfunke für die Sammlung entstand aus den zehn Stücken von Ibrahim El-Husseinis Comedy of Sorrows (Komödie der Sorgen) – ein Werk, das 2012 von Maggor übersetzt und aufgeführt wurde. Comedy of Sorrows entstand während der ersten Welle der Proteste 2011. Die englische Übersetzung war zunächst nicht für das allgemeine Publikum gedacht, sondern für eine akademische Konferenz an der Harvard University mit dem Titel "Frauen gestalten Demokratie".
El-Husseinis Stück handelt von einer privilegierten ägyptischen Frau mit Universitätsabschluss, die dazu gezwungen wird, gesellschaftlichen Schichten zu begegnen, die sie bis dahin gemieden hatte.
Mit Comedy of Sorrows, sagt Maggor, habe El-Husseini "nicht beabsichtigt, einem fremden Publikum die Protestbewegung zu erklären, sondern die Komplexität und die Konflikte innerhalb der ägyptischen Gesellschaft zu erforschen. Dies ist die Sichtweise von innen heraus, die in unserem Diskurs so oft fehlt".
Von da an sammelten und übersetzten Maggor und Albakry weitere Werke, während sich die soziale und künstlerische Landschaft Ägyptens dramatisch veränderte: von der Militärherrschaft über Präsident Mohamed Mursi bis hin zu Abdel Fattah al-Sisi. Laut Maggor wollten die Theaterkünstler, die sie traf, oft nicht über ihre eigenen Arbeiten der vorangegangenen ein bis zwei Jahre sprechen.
Yasmeen Emam, deren Stück The Mirror (Der Spiegel) in der Sammlung enthalten ist, hat sich sehr gefreut, dass ihr Werk ins Englische übersetzt wurde. Aber dass ihr Stück im Zusammenhang mit der Revolution betrachtet wurde, sah sie durchaus zwiespältig. Nach 2011, meinte sie, bezogen sich viele ägyptische Künstler auf die Revolution, um ihre Karriere voranzutreiben – "sogar die, die dagegen waren".
The Mirror handelt von einer jungen Frau, deren Körper und Psyche das Schlachtfeld des Stückes darstellen. Die Erzählerin wird von Dutzenden verinnerlichter Stimmen umkämpft. "Ich habe dieses Stück geschrieben, um zu zeigen, wie sich eine junge Frau entwickelt, wenn es auf all diese Stimmen hört, die versuchen, ihr das Recht zu nehmen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen".
Die Stücke in Tahrir Tales sind in fünf Abschnitte aufgeteilt – von Disparity and Corruption (Verschiedenheit und Korruption) bis Unfinished Revolution (Unvollendete Revolution). Emams Stück gehört zur ersten Kategorie, ebenso wie They Say Dancing is a Sin (Sie sagen, tanzen sei eine Sünde) von Hany Abdel Naser und Mohamed Abdel Mu'iz.
Beide Werke des ersten Teils wurden dieses Jahr in Boston aufgeführt. Die Aufführung habe ihr gefallen, so Emam, insbesondere weil Maggor "die Ähnlichkeiten zwischen der ägyptischen Heldin meines Stückes und der Heldin in ihrer Aufführung" gefunden und damit eine Verbindung zwischen den Kämpfen ägyptischer und amerikanischer Frauen geschaffen habe.
Verallgemeinerung und Exotisierung: zwei Seiten derselben Medaille?
In The Mirror hat diese Verbindung funktioniert. Aber Maggor hält dies für problematisch. Sie versucht, die Besonderheiten der arabischen Charaktere nicht zu sehr zu verallgemeinern, nur um dadurch zu zeigen, dass sie "so wie wir" seien. Das Exotische und das Allgemeine sind ihrer Ansicht nach "in vielerlei Hinsicht zwei Seiten derselben Medaille. Was wir normalerweise ignorieren, ist die Art, auf die gutes arabisches Drama zu unseren eigenen Gesprächen über Kunst und Politik beitragen kann".
Maggor konzentriert sich eher darauf, wie das ägyptische Drama "auf experimentelle Weise" zu den bestehenden Formen beitragen kann, oder damit, "wie es sich mit politischen Themen und Sorgen beschäftigt, die auch für unsere eigene Gesellschaft relevant sind".
In der Tat geht es bei den Stücken in Tahrir Tales laut Maggor insbesondere auch um Fragen der Korruption, Klassengegensätze, Polizeigewalt, den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen "und viele andere Themen, deren Bedeutung keineswegs auf die arabische Welt beschränkt ist".
Diese Werke können auch eine Inspiration für andere existenzielle Kämpfe sein. In Search of Said Abu-Naga (Auf der Suche nach Said Abu-Naga) von Ahmed Hassan al-Banna erzählt die Geschichte des Polizisten Said Abu-Naga, der einen Demonstranten erschossen hat. Im Mittelpunkt steht Abu-Nagas Familie und wie sie ihren verlorenen Sohn und seine Taten wahrnimmt. Dieses Stück könnte sicherlich auch auf Polizeimorde in anderen Ländern und unter anderen Umständen bezogen werden.
Maggor hofft, dass diese zehn Stücke sowohl englischsprachige Theaterbesucher als auch Universitätsstudenten erreichen werden. "Als Professorin für Theater und Darstellung in den USA kann ich Ihnen sagen, dass sich unser Repertoire alles in allem sehr auf europäische und amerikanische Stücke beschränkt", meint sie. Diese Sammlung könnte dazu beitragen, dies zu ändern.
Marcia Lynx Qualey
© Qantara.de 2017
Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff