Arabische Subkultur trotzt dem Tabu
Der Libanese mit dem Künstlernamen El Harb arbeitet in einem Bereich, der lange tabu war. Er ist Tattookünstler und sticht in Beirut schwarze Tribals, arabische Kalligrafie und realitätsnahe Porträts auf die Körper seiner Kunden. Auch religiöse Motive sind gefragt. Doch was sich auch gläubige muslimische Tattoofans in der Regel nicht stechen lassen, sagt El Harb, ist der Name Allahs. "So rein ist niemand."
In arabischen Ländern wächst eine Generation heran, die die strikten gesellschaftlichen Regeln hinterfragt, ihrer Kultur aber treu bleibt. Ein Ausdruck davon sind Tattoos. Für sein Projekt "Arab Ink" sammelt der Fotograf Bashar Alaeddin seit 2014 stilvolle Motive, die er über Instagram und Facebook ausstellt. Ihm geht es darum, eine Subkultur ans Licht zu bringen, die früher nicht öffentlich war oder einfach nie wahrgenommen wurde.
"Das Tabu ist nach wie vor da, es wird nicht über Nacht verschwinden", sagt er. Doch merkt er, dass es zunehmend missachtet wird. Die Hälfte derer, die er fotografiert, sind Frauen. Die meisten haben das Tattoo zwar an einer Körperstelle, wo man es nicht sieht. "Aber allein der Fakt, dass sie sich etwas Bedeutsames stechen lassen, sagt viel aus."
Sind Tattoos "haram"?
In arabischen Gesellschaften herrscht die Ansicht vor, dass Tattoos "haram" sind, verboten im Islam. Denn Tätowierungen, so die Mehrheitsmeinung, veränderten die Schöpfung Gottes. Nur vorübergehende Tattoos – mit Henna zum Beispiel – sind demnach erlaubt. Für Alaeddin hat es nichts mit Religion zu tun, wenn sich jemand eine arabische Kalligrafie tätowieren lässt. "Es hat aber alles zu tun mit arabischer Kultur und einer Generation junger Araber, die sich ausdrücken will."
Der Libanon ist die Hochburg der arabischen Tattooszene. Das liegt daran, dass das ständige Ringen zwischen Christen, Sunniten, Schiiten und Drusen in dem Land Freiräume entstehen ließ, in der sich Subkulturen besser entfalten konnten. "Schicke Tattoos werden immer beliebter", merkt auch Tattookünstler El Harb, dessen Künstlername auf Arabisch "der Krieg" bedeutet. Und weil Instagram neue Modetrends setzt, wollen die meisten Leute, die ihn aufsuchen, ihre alten und hässlichen Tätowierungen überdecken lassen mit stilvollen, neuen Motiven. "Cover-ups sind mein Hauptgeschäft."
Selbst bei konservativen Schiiten im Libanon kommen Tattoos in Mode. Sie lassen sich Bilder ihrer religiösen Idole unter die Haut stechen, drücken damit ihren Glauben aus und provozieren zugleich radikale Sunniten, denen Tattoos eben als Sünde gelten. "Für Schiiten ist es okay, sich tätowieren zu lassen", sagt El Harb. So lassen sie sich den Namen oder Zitate von Ali stechen, dem Schwiegersohn des Propheten Mohammed, den Schiiten verehren. Oder die Zahl 313, so viele Gefährten werden nach dem schiitischen Glauben den Imam Mahdi begleiten. Alis heiliges Schwert, Zulfiqar, ist ebenfalls ein beliebtes Motiv.
Im Visier der Religionspolizei
Zu El Harb kommen aber auch sunnitische Kunden aus den strengen Golfländern wie dem wahhabitischen Königreich Saudi-Arabien. In ihrer Heimat müssen sie ihre Tattoos wieder bedecken, denn sonst riskieren sie, von der Religionspolizei verhaftet werden. Die strengen Moralwächter haben selbst bei dem kolumbianischen Fußballprofi Juan Pablo Pino kein Auge zugedrückt. 2011 wurde er in einem Einkaufszentrum wegen seiner offen gezeigten Tattoos festgenommen. Was die Empörung noch größer machte: Der damalige Spieler von Al Nasr Riad trug auf dem Oberarm ein Abbild Jesu.
Dabei haben Tätowierungen eine lange Tradition in der Region. Bei den Berbern ließen sich die Frauen über viele Generationen hinweg im Gesicht tätowieren. Bei den christlichen Kopten in Ägypten ist das Kreuz am inneren Handgelenk ein verbreitetes Erkennungszeichen. Bei einer altägyptischen Mumie aus Deir el Medina nahe dem Tal der Könige fanden Wissenschaftler gar Tätowierungen von Tieren und Pflanzen. Bei dem Leichnam handelte es sich um eine Frau, die vor mehr als 3.000 Jahren gelebt hat.
Auch zu Zeiten des Propheten Mohammed hatten Menschen den Überlieferungen zufolge Tattoos. Doch soll der Prophet gesagt haben, dass Allah eine Frau verfluche, die tätowiere oder tätowiert werde.
Vom "grünen Mann" zum religiösen Fanatiker
Auf diese Hadith beziehen sich konservative Sunniten – und Extremisten. Der Anführer des Terrornetzwerks Al-Qaida im Irak, Abu Musab al-Zarqawi, hatte einst so viele Tattoos, dass ihn Nachbarn den „grünen Mann“ nannten. Im Gefängnis wurde aus dem Kriminellen ein religiöser Fanatiker. Er beschaffte sich eine Rasierklinge und schnitt sich die Tattoos nach und nach aus dem Körper.
In Bagdad, wo in den vergangenen Jahren eine kleine Tattoo-Szene entstanden ist, arbeitet Ibrahim gemeinsam mit einem Partner. Er ist Schiit, sein Partner Christ, ihre Farben, Nadeln und Geräte lassen sie aus den USA einfliegen. „Gott gab uns einen Körper, mit dem wir machen können, was wir wollen“, sagt Ibrahim. Junge Schiiten verweisen gerne auch auf ihren wichtigsten Geistlichen im Irak, Ayatollah Ali al-Sistani. Ihm zufolge gibt es im Islam kein allgemeingültiges Tattooverbot.
Im Irak liefert derzeit der Krieg die Motive für Tattoos. "Wir stechen viele Porträts", sagt Ibrahim. "Gesichter getöteter Soldaten, die deren Angehörige unter ihrer Haut tragen wollen – oft auch mit Namen und Todesdaten." Bei Männern seien Tätowierungen in Schwarz und Grau beliebt. Frauen ließen sich häufig die Augenbrauen tätowieren und Bilder von Vögeln oder Schmetterlingen. Neukunden fangen meist ganz klein an, mit einem Motiv, das weltweit gerne genommen wird: "Mutter" in arabischer oder in englischer Schrift.
Mey Dudin
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