Mehr Unterstützung für Frauen
Der Konflikt im Jemen hat die wirtschaftliche Lage verschlechtert und zu erheblichen Spannungen und Leid in den Familien und Gemeinschaften des Jemen geführt. Fast die Hälfte der Bevölkerung hat ihre Jobs verloren, und sowohl im öffentlichen Sektor als auch in der Privatwirtschaft gibt es nur wenige Arbeitsplätze. Die Mehrheit der Familien hat keinerlei Einkommen, was zur katastrophalen humanitären Lage des Landes beiträgt.
Traditionell ist es im Jemen Aufgabe des Mannes, für die Grundbedürfnisse der Familie zu sorgen. Doch heute kämpfen viele Männer an der Front, sie haben ihre Arbeit verloren, erhalten keinen Lohn oder leiden unter den Folgen des Krieges. So sind Frauen unter enormen Druck geraten, die Rolle der Ernährerin zu übernehmen. Jedoch erschweren konservative und patriarchale Normen ihre Teilnahme am Erwerbsleben. Es ist auch eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt, wenn Frauen in ihrem wirtschaftlichen Handeln eingeschränkt werden, etwa wenn sie nur eingeschränkt Möglichkeiten haben, um Geld anzusparen. Im Jemen ist das jedoch normal und führt zu Spannungen in den Familien.
Viele Frauen stellen sich diesen Bedingungen. Sie finden Lösungen und verwandeln schwierige Situationen in Chancen, indem sie als Unternehmerinnen selbst aktiv werden. Trotz der gesellschaftlich vorgegebenen Normen ist die Zahl der von Frauen geführten Unternehmen im Jemen in letzter Zeit stark gestiegen, wenn man selbständige Tätigkeiten zu Hause oder oder den Verkauf von Produkten über Online-Plattformen mit dazurechnet.
So haben zum Beispiel Frauen, die gut kochen oder nähen können, begonnen, ihre Produkte von zu Hause aus zu verkaufen, während andere Unternehmen gegründet haben, die importierte Ware wie Kleidung, Elektronik und Kosmetika, die man aufgrund der von Saudi-Arabien geführten Koalition eingeführten See-, Luft- und Landblockade nicht mehr bekommen kann, weiterverkaufen.
Andere haben kleine Läden eröffnet, wo sie Dienstleistungen wie die Wartung von Mobiltelefonen anbieten. Leider haben viele Frauen, darunter auch Binnenflüchtlinge und Frauen aus ethnischen Minderheiten, nur begrenzte Möglichkeiten, um ein Einkommen zu erzielen. Einige von ihnen verkaufen in ihrer Not Kleidung, Taschentücher oder andere Produkte auf der Straße, wo sie häufig zu Opfern von Gewalt und Missbrauch werden.
Die Hürden zur Gründung eines Unternehmens sind für viele Frauen zu hoch. Selbst wenn sie die sozialen Barrieren überwinden, haben sie keinen Zugang zu den notwendigen finanziellen Ressourcen. Da viele Familien keine Einkommensquelle, keine Ersparnisse, kein Vermögen, keine Jobs und keine anderen finanziellen Mittel haben, bleibt die Beschaffung von Kapital eine Herausforderung.
Islamische Mikrofinanzierungsinstitute und der gemeinschaftsorientierte Fond Jami'yaat können hier Lösungen anbieten. Doch soziokulturelle Normen, religiöse Überzeugungen und die allgemeine wirtschaftliche Lage hindern viele Frauen daran, sich außerhalb ihrer Familien um Finanzen für ihre Geschäftsideen zu bemühen. Einer in Sanaa durchgeführten Untersuchung zufolge "stammen die Kapitalquellen zur Gründung eines Unternehmens hauptsächlich aus privaten Ersparnissen und von der Familie“, was darauf hindeutet, dass im Finanzsektor eine große Lücke klafft.
Angesichts des großen wirtschaftlichen Potenzials von Unternehmerinnen, ist eine bessere Unterstützung durch Finanzinstitute wie Mikrofinanzierungsinstitute (MFI) dringend notwendig, das gilt insbesondere für diejenigen Frauen, die auf Kredite angewiesen sind, um sich Kapital zu beschaffen.
Kein Vertrauen in Banken
Im Jemen mangelt es an Wissen über das Bankensystem und seine Dienstleistungen, was dazu beiträgt, dass viele Menschen, insbesondere Frauen, gar kein Bankkonto haben. Im Jahr 2014 hatten weniger als zwei Prozent der jemenitischen Frauen ein Konto bei einem Finanzinstitut - ein sehr niedriger Wert im Vergleich zu anderen arabischen Ländern.
Jemenitische Frauen dürfen rein rechtlich Eigentum besitzen, Unternehmen gründen und Finanztransaktionen tätigen, auch Kredite aufnehmen. Doch bestehen nach wie vor erhebliche Hürden, die sie daran hindern, sich an Finanzinstitute wie Banken und MFI zu wenden, um Kredite als Startkapital für ihre Unternehmen zu beantragen.
Ein Hindernis stellt die Kultur mit ihren Traditionen und Bräuchen dar, die die Rolle von Frauen in der Gesellschaft definieren. Zum Beispiel müssen viele Frauen erst die Erlaubnis ihrer männlichen Vormünder einholen. Außerdem ermutigt die Kultur des Jemen die Menschen dazu, sich eher Geld von Verwandten als von einer Bank zu leihen.
Daher investieren viele Jemeniten den Großteil ihrer Ersparnisse lieber in Goldschmuck, Immobilien und Grundstücke, als es auf einem Bankkonto zu deponieren. Auch glauben die meisten Menschen, es sei sicherer und einfacher, Bargeld zu Hause aufzubewahren. Dieser Glaube wurde durch die Geschäftspraktiken der Banken zu Beginn des Konflikts noch verstärkt.
Als es die Banken damals ablehnten, Geld auszuzahlen oder aufgrund mangelnder Liquidität und der Abwertung der Landeswährung nur noch kleinere Beträge freigaben, verloren viele das Vertrauen in sie. Darüber hinaus verstärkten Berichte von der Beschlagnahmung oder dem Einfrieren von Bankkonten durch Milizen die Angst, Geld auf Bankkonten einzuzahlen. Allerdings wurde es angesichts des anhaltenden Konflikts und der weit verbreiteten Unsicherheit und Straflosigkeit auch riskanter, Ersparnisse zu Hause aufzubewahren.
Eine zusätzliche Hürde stellt das islamische Zinsverbot (Riba) dar, das ein wesentlicher Grund für das Misstrauen vieler Jemeniten gegenüber den Finanzinstituten ist. Nach islamischen Grundsätzen sind Zinsen auf Kredite und Einlagen verboten, was viele davon abhält, ihr Geld bei konventionlellen Banken anzulegen oder Kredite aufzunehmen. In einigen besonders konservativen Gemeinschaften ist die Skepsis auch gegenüber islamischen Banken groß.
Als der Social Fund for Development im Jemen 1997 die Mikrofinanzierung einführte, wurde sie von einem Großteil der jemenitischen Gesellschaft abgelehnt, und religiöse Persönlichkeiten wie Imame kritisierten die Mikrokredite und verboten den Menschen, sie aufzunehmen. Nachdem diese Dienstleistungen jedoch beharrlich weiterhin angeboten wurden, hat sich die negative Wahrnehmung im Laufe der Zeit geändert und die Finanzierung durch Mikrokredite hat ein gewisses Maß an Akzeptanz gewonnen.
Aber selbst wenn Frauen ihr Misstrauen gegenüber Banken überwinden, gibt es weitere Hindernisse: Auch die Kreditanforderungen halten viele davon ab, bei Finanzinstituten anzufragen. Konventionelle und islamische Banken verlangen erhebliche Sicherheiten, die die meisten Frauen nicht aufbringen können. Ein weiteres Hindernis stellen hohe Zinssätze dar, weil diese die Unternehmerinnen zu sehr belasten, dazu kommen dann häufig noch religiöse Vorbehalte gegen die Zinsen.
Islamische Banken können dieses Problem zwar überbrücken, indem sie Alternativen zu den Zinssätzen anbieten, die im Einklang mit den islamischen Grundsätzen stehen. Doch ihre Anforderungen an die Kreditsicherheiten sind ähnlich streng sind wie bei den herkömmlichen Banken. Folglich sind Banken die unattraktivste Option, um die Unternehmensgründung zu finanzieren.
Die meisten MFI bieten verschiedene Arten von Krediten mit niedrigeren Zinssätzen an, wobei sie sich an die islamischen Grundsätze halten. Dennoch verlangen auch die MFI Sicherheiten, insbesondere bei Einzelkrediten, die viele Frauen nicht erfüllen können. Diese Anforderungen unterscheiden sich von Institut zu Institut, z. B. welche Bürgschaften in Form von Einlagen, Schmuck, Gehältern und Bankgarantiebriefen verlangt werden.
Ein möglicher Weg, um dieses Hindernis zu umgehen, besteht in der Bildung von Netzwerken, um sich gegenseitig bei der Erfüllung der Sicherheiten zu unterstützen. So können zum Beispiel gemeinsam Bürgschaften beschafft werden, die die meisten MFI und Banken fordern. Solche Netzwerke zu bilden, ist für Frauen deutlich schwieriger, da sie zum Beispiel nicht an den gesellschaftlichen Zusammenkünften der Männer teilnehmen dürfen. Bei diesen Treffen aber werden viele Geschäfte angebahnt, von denen Frauen dann ausgeschlossen sind.
Not macht erfinderisch: Alternative Finanzierungsmöglichkeiten
Angesichts all dieser Schwierigkeiten beim Zugang zu Finanzinstituten sind informelle Mechanismen zum Leihen und Sparen unter Frauen weit verbreitet. Die meisten Unternehmerinnen verlassen sich auf ihre eigenen Ersparnisse und Ressourcen oder die ihrer Familie. Sie leihen sich beispielsweise Geld von einem Familienmitglied oder erhalten Bargeld im Tausch gegen Gold (z. B. Schmuck). Häufig erwerben Frauen den größten Teil ihres Goldes durch die Mitgift bei der Heirat.
In der jemenitischen Kultur gilt das Gold einer Frau traditionell als ihre finanzielle Absicherung. Einige Unternehmerinnen verpfänden oder verkaufen jedoch als letzten Ausweg ihr Gold, um das für ihr Geschäft benötigte Kapital ganz oder teilweise zu bekommen. In anderen Fällen legen die Frauen über einen längeren Zeitraum kleine Geldbeträge beiseite; dieses Geld haben sie entweder durch ein persönliches Einkommen erwirtschaftet, wenn sie denn eine Arbeit hatten, oder vom Mann, der ihnen das Geld für den Haushalt oder für persönliche Ausgaben gegeben hat.
Zu diesen informellen Finanznetzwerken im Jemen und in der ganzen arabischen Welt gehört Jami'yaat. Es handelt sich dabei um einen Fonds, der auf einer Mitgliedschaft basiert. Jedes Mitglied zahlt regelmäßig, meist monatlich, einen festen Geldbetrag ein. Das angesammelte Guthaben des Fonds wird am Ende des vereinbarten Zeitraums (z. B. am Monatsende) an ein einzelnes Mitglied ausgezahlt, bis alle Mitglieder einen monatlichen Anteil erhalten.
Die Mitglieder des Fonds können Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Nachbarn oder Freunde sein, wobei einige Teilnehmer aus verschiedenen sozialen Kreisen kommen, wenn vertrauenswürdige Mitglieder für sie bürgen. Die Teilnehmerinnen einer Studie gaben an, dass Jami'yaat in ihren Gemeinden beliebt seien und dass sie sie aus mehreren Gründen der Aufnahme von Krediten bei formellen Finanzinstituten vorziehen.
Erstens verlangt Jami'yaat keine Zinsen oder nennenswerte Sicherheiten; vielmehr haben die Mitglieder/Teilnehmer Vertrauen und bürgen füreinander, was das Risiko von Zahlungsausfällen verringert. Zweitens kann jede Frau ihre eigene Jami'ya initiieren und Personen, denen sie vertraut, daran teilnehmen lassen. Drittens entscheiden die Teilnehmer gemeinsam, wer zuerst ausgezahlt wird, z. B. nach Notwendigkeit, nach dem Zufallsprinzip oder in alphabetischer Reihenfolge. Es ist üblich, dass sich die Teilnehmer später untereinander austauschen, und es steht jedem frei, das Geld so auszugeben, wie er möchte.
Da die derzeitige Wirtschaftskrise, zu der auch die weitgehende Aussetzung der Gehälter gehört, es den Gemeindemitgliedern immer schwerer macht, sich an einem gemeinsamen Fonds zu beteiligen, sagen die Frauen, dass sie diese Praxis fortsetzen wollen, sobald sie wieder Gehälter erhalten. Interessanterweise sind Jami'yaat bei einigen Kleinst- und Kleinunternehmern, die sowohl Männern als auch Frauen gehören, nach wie vor im Einsatz, um die für die Verbesserung und Aufrechterhaltung ihrer Geschäfte erforderlichen Mittel zu sichern.
Unternehmerinnen brauchen mehr Unterstützung
Unternehmerinnen verschaffen Familien ein Einkommen. Ihre wirtschaftliche Teilhabe bietet den Mitgliedern lokaler Gemeinschaften die Möglichkeit, zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Daher müssen mehr finanzielle Mittel und eine breitere gesellschaftliche Unterstützung bereitgestellt werden, um Frauen mit großartigen Ideen bei der Gründung von Unternehmen und der Teilnahme am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben zu helfen. Diese Unterstützung sollte durch die Einrichtung von mehr Geschäftsnetzwerken unter Frauen gefestigt werden, damit sie sich gegenseitig stärken und neuen, von Frauen geführten Start-up-Unternehmen die notwendige Hilfe zukommen lassen können.
Bislang war die Rolle der Frau in der Wirtschaft als Unternehmerin mit vielen Schwierigkeiten verbunden, wobei die Kapitalbeschaffung eine der kritischsten war. MFI, insbesondere informelle Institutionen, stehen jedoch selbst vor mehreren Herausforderungen, sie kämüfen mit unzureichenden Mitteln, begrenzter Reichweite und schlechter Infrastruktur. Um Frauen zu unterstützen, MFI-Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, könnten die MFI beispielsweise die Kreditanforderungen lockern. Konventionelle Banken, die Regierung und internationale Geber sollten sie dabei unterstützen.
Auch könnten zivilgesellschaftliche Organisationen und internationale Nichtregierungsorganisationen Aufklärungskampagnen und Workshops über den Finanzsektor und die Möglichkeiten der Mikrofinanzierung fördern, um Frauen besser zu erreichen und Bank- und MFI-Konten für jede jemenitische Frau zu etwas Alltäglichem zu machen. Diese Kampagnen könnten auch das übermäßige Misstrauen in Bezug auf die Zinssätze abbauen, insbesondere bei islamischen MFI.
Es hat sich gezeigt, dass Jami'yaat als eine Methode der sozialen Solidarität erfolgreich sind und viele Menschen, darunter auch Unternehmerinnen, unterstützen könne. So können Unternehmerinnen Jami'yaat gründen, damit jedes Mitglied regelmäßig seinen Anteil am Fond erhält. Dadurch helfen sie auch Frauen in der Gemeinschaft, die Startkapital benötigen.
Dies kann dazu beitragen, vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten und Einkommensquellen für viele Familien zu schaffen. Jami'yaat sollten unterstützt und ausgeweitet werden und entweder als MFI-Produkt oder über den lokalen Postdienst angeboten werden. Der bereits vorhandene Unternehmergeist der jemenitischen Frauen könnte mit der richtigen Unterstützung noch weiter gefördert werden.
Amal Abdullah
Der Beitrag ist zuerst erschienen bei Yemen Policy Center, das vom Auswärtigen Amt unterstützt wird.
Amal Abdullah ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Yemen Policy Center (YPC). Sie hat Analysen im Majlis-Blog des YPC veröffentlicht und als Übersetzerin für Projekte des YPC und verschiedener anderer Organisationen gearbeitet, darunter das UN Human Rights Training sowie das Dokumentationszentrum für Südwestasien und die arabische Region. Außerdem hat sie verschiedene Berichte verfasst, u. a. über die Auswirkungen der Bildung von Frauen auf die Fruchtbarkeitsrate im Jemen.