Schöner neuer Islam
Willkommen in der schönen neuen Welt des Islam. In einer Welt, in der junge Familien glücklich in die Kamera lächeln, wissbegierige Kinder mit hauchdünnen Tablets im Netz surfen und sich Papa im Finanzdistrikt von Jakarta noch eben einen Coffee-to-go gönnt, bevor er in den nächsten Flieger springt nach Abu Dhabi, London oder New York.
Das ist die Welt von Alchemiya, einem neuen Medien-Startup aus London. Noch in diesem Jahr soll die Video-on-Demand-Plattform an den Start gehen – eine Art Netflix mit Themen rund um den Islam. Anders als bei Sendern wie Al Jazeera werden nicht die täglichen Negativnachrichten über die islamische Welt das Programm bestimmen, sondern Erfolg und Innovation, verpackt in Dokus, Hintergrundberichte und Spielfilme. Als Lifestyle-Kanal bezeichnen die Macher ihr Produkt – Mode und Gesundheit, Reisen und Familie statt immer nur Krieg und Terror.
Zwar befindet sich Alchemiya noch in der Entwicklungsphase, doch haben bereits 1.000 Kunden den Kanal abonniert und rund 130 Euro für ein 2-Jahres-Abo vorgeschossen. "Eine Art Crowdfunding" sei das, sagt Gründer Navid Akhtar, der damit vermeiden will, dass große Investoren Einfluss auf das Programm nehmen. Da kein Zins erhoben werde, sei Crowdfunding zudem islamrechtlich unbedenklich, erklärt Akhtar.
Der britische Journalist und Dokumentarfilmer ist überzeugt, dass sein Alles-ist-gut-TV ein Erfolg wird. "Der Markt ist saturiert mit schlechten Nachrichten über den Islam", sagt er. Statt täglich mit Problemen in Syrien, Libyen oder Jemen konfrontiert zu werden, wollten Muslime auf der ganzen Welt Positives über ihre Religion erfahren. "Es gibt die Nachfrage", ist sich Akhtar sicher.
Zielpublikum "Gummies"
Seinen Kunden hat er bereits einen eingängigen Namen gegeben: "Gummies", Global Urban Muslims. "Eine spezielle muslimische Identität bildet sich heraus. Wir nennen sie den Global Urban Muslim", heißt es im Werbevideo des Portals. "Ob Du in Sydney, Kalifornien, London oder Kuala Lumpur lebst, die Mentalität ist dieselbe." Gummies seien "kultivierte, hochgebildete Leute, die die neueste Technologie nutzen, junge Familien haben und es lieben zu reisen". Gleichzeitig aber sei ihnen der Islam wichtig.
Für Navid Akhtar sind die Gummies die Zukunft des Islam. "Wir kennen die Verrückten und haben all den Schaden gesehen, den sie angerichtet haben", sagt er in Hinblick auf die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) im Irak und Syrien. Die Gummies seien das Gegenteil der Extremisten. "Sie sind die Crème der Gemeinschaft." Dass sich Alchemiya an eine internationale muslimische Elite wendet, streitet Akhtar nicht ab, auch wenn ihm der Begriff nicht gefällt: "Man mag diese Gruppe Elite nennen, aber die Wahrheit ist doch, dass die Innovationen des Islam im 21. Jahrhundert von dieser Gruppe kommen werden. Diese Leute sind die Leistungsträger."
Und noch etwas motiviert Akhtar: "Ich bin kein Araber", betont er. Große Sender wie Al Jazeera oder Al Arabiya hätten eine sehr arabische Perspektive auf den Islam. Von dieser soll sich Alchemiya lösen. "Unser Fokus liegt auf allen Teilen der Welt, in denen Muslime leben."
Als Sohn pakistanischer Eltern wurde Akhtar in London geboren. Er war der erste in der Familie, der eine Universität besuchte. Nach dem Design-Studium arbeitete er sich im Journalismus hoch, reiste um die Welt und gewann bald schon Preise für seine Programme, die in der BBC und auf dem privaten Channel 4 liefen. 2007 gründete er seine eigene Produktionsfirma. Religion, sagt der heute 47-Jährige, sei ihm erst spät im Leben wichtig geworden. Nachdem seine Mutter an Krebs gestorben war, habe er auf seine Karriere geblickt und sich gefragt, ob da nicht mehr sei im Leben als Geld und Erfolg.
Heute kann Navid Akhtar stundenlang über Spiritualität und religiöse Werte dozieren. Den visionären muslimischen Geschäftsmann verkörpert er ebenso wie den erfolgreichen Jungunternehmer. "Business people are ambassadors of the faith", ist einer seiner Slogans, die er jungen Muslimen mit auf den Weg gibt. Oder: "Doing business is an integral part of Islam."
Kein religiöser Sender
Trotz des Fokus auf den Islam sei Alchemiya aber kein religiöser Sender. "Wir sagen den Leuten nicht, wie sie sich als gute Muslime zu benehmen haben", sagt Akhtar, "es ist aber wichtig, dass hinter unserer Arbeit spirituelle Werte stehen." Deshalb habe er auch Ajmal Masroor als Geschäftspartner zu schätzen gelernt. Der britische Imam ist eine bekannte Persönlichkeit in Großbritannien. Nicht nur leitet er in vier Londoner Moscheen einmal monatlich das Freitagsgebet, auch tritt er regelmäßig als Talk-Gast auf und hatte seine eigenen TV-Shows unter anderem in der BBC. Mit Alchemiya will Masroor zeigen, was der Islam wirklich ist. Den Medien erzählt der Imam gern eine Anekdote über seinen 10-jährigen Neffen. Der habe ihm eines Tages erzählt, er wolle kein Muslim mehr sein, nachdem er all die schlechten Nachrichten über den Islam im Fernsehen gesehen hatte.
Dass Alchemiya in einer Zeit startet, in der Negativnachrichten aus Nahost in besonderem Maß die Schlagzeilen bestimmen, ist Zufall, denn bereits seit mehreren Jahren ist das Projekt in Planung. Die Schreckensherrschaft des "Islamischen Staats" (IS) dürfte dem Londoner Start-up allerdings gelegen kommen, können doch viele Gläubige die Untaten des IS längst nicht mehr sehen. Alchemiya zeichnet das Gegenbild zum barbarischen Image vom Islam, das die Dschihadisten und andere Extremisten in der Welt verbreiten.
Das mag gut gemeint sein, etwas kitschig kommt es allerdings schon daher – wenn etwa ein muslimischer US-Hiphopper in einem für Alchemiyas Promokampagne aufgenommenem Musikvideo mit einem faltigen Marokkaner in traditioneller Tracht Bob Marleys "Get up, stand up" singt. Oder wenn Navid Akhtar von der einzigartigen Schönheit des Taj Mahals schwärmt.
Natürlich fehlen in der Werbekampagne auch die großen Philosophen des islamischen Mittelalters nicht, auf die sich viele Muslime berufen, um das Bild des Islam zurechtzurücken. Es ist zu hoffen, dass Alchemiya nicht in diese Falle tritt und einer vergangenen Blütezeit des Islam nachtrauert, sondern die Berichterstattung der Mainstreammedien tatsächlich um positivere, aber nicht unkritische Beiträge aus der islamischen Welt ergänzt.
Jannis Hagmann
© Qantara.de 2014