Hoffnung auf Neuorientierung
Die Liste ist lang: Bewegung im Atomstreit, Entschärfung der Sanktionen, Bekämpfung der Wirtschaftskrise, Einhaltung der Menschenrechte und Lockerung der Zensur. Das sind nur einige der Themen, die auf der Agenda des neuen iranischen Präsidenten Hassan Rohani stehen.
Mit ihm verbinden sich im In- und Ausland Hoffnungen und Erwartungen auf einen Wandel - und die sind nicht unbegründet. "Der Iran hat ein neues Kapitel der Mäßigung eingeleitet", lautete die an die Weltgemeinschaft gerichtete zentrale Botschaft, die der moderate Rohani auf seiner ersten Pressekonferenz nach dem Wahlsieg am 14. Juni aussprach.
Hoffnung auf einen rationaleren Stil
Insbesondere im Atomstreit mit dem Westen verspricht der 64-jährige Geistliche mehr Transparenz. Rohani bekräftigt, es gebe aus seiner Sicht nur eine diplomatische Lösung in dieser Frage. In der Tat seien die Chancen für einen rationalen Dialog mit Rohani größer geworden, so Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag.
Tatsache ist, dass der Westen es jetzt mit einem Präsidenten zu tun hat, der 2003 bis 2005 selbst Chefunterhändler bei den Atomgesprächen war und sich mit diplomatischen Gepflogenheiten auskennt. "In erster Linie kann Deutschland vom neuen iranischen Präsidenten Mäßigung erwarten, einen besseren Stil und auch die Fähigkeit, Chancen auszunutzen. Das betrifft eben auch den Atomstreit", meint Walter Posch, Iran-Experte an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Irans letzte Chance?
Wie sein Vorgänger Ahmadinedschad bezeichnet auch der neue Präsident Rohani das umstrittene Atomprogramm des Landes als rechtmäßig und will die Urananreicherung fortsetzen. Laut Posch haben die Iraner unter Rohani als Generalsekretär des iranischen nationalen Sicherheitsrats seinerzeit tatsächlich wichtige Fortschritte im Bereich der Atomtechnologie gemacht, die dieser nicht aufgeben werde.
Dennoch wird eine Lockerung der massiven Sanktionen gegen den Iran ohne Kompromisse bei den Atomverhandlungen schwer möglich sein. Aus der Sicht des Iran-Experten Posch ist es für Teheran die letzte Chance zu verhindern, dass das Land Opfer einer totalen Isolation und einer umfassenden Wirtschaftsblockade wird.
Es gibt aber auch Stimmen, die mehr positive Signale vom Westen erwarten, so zum Beispiel der sicherheitspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Omid Nouripour: "Wir reden die ganze Zeit davon, dass man mit einem Paket von Anreizen und Druck an das Problem ran muss. Doch diese Anreize gibt es nicht mehr. Und deshalb ist es super, wenn die Amerikaner sagen, wir wollen jetzt auf höherer Ebene direkte Gespräche mit dem Iran führen."
Nichts geht ohne Khamenei
In seinen Berechnungen muss Rohani allerdings eine übergeordnete Konstante berücksichtigen: Ayatollah Ali Khamenei, das geistliche Oberhaupt des Landes.
In seiner ersten offiziellen Fernsehansprache sagte der designierte Präsident, die Außenpolitik werde "unter Berücksichtigung aller Rechte der Nation" und gemäß den Anweisungen des geistlichen Oberhaupts geführt. Khamenei hat sich bisher gegen direkte Gespräche mit den USA ausgesprochen und in außenpolitischen Angelegenheiten wie der Atomfrage eine harte Linie verfolgt.
Dennoch sind die katastrophalen Folgen der Sanktionen gegen den Iran, der Machtkampf unter den konservativen Kräften und der Konflikt mit Ex-Präsident Ahmadinedschad nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Nicht wenige Experten werten die Wahl Rohanis als Zeichen zunehmender Kompromissbereitschaft Khameneis.
"Khamenei hat erreicht, woran er schon seit Januar 2010 arbeitet", ist SWP-Experte Walter Posch überzeugt, und das sei die Befriedung der innenpolitischen Konflikte. Rohanis Verhältnis zu Khamenei ist unbelastet, beide verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. "Khamenei schätzt Rohani, der in erster Linie ein Technokrat ist", so Posch, "und das beruhigt ihn gegenüber demokratischen Experimenten, bei denen man nie weiß, wo sie enden".
Aber nicht nur in Sachen Atomprogramm, sondern auch im Syrienkonflikt hofft der Westen auf positive Signale aus Teheran. Die Teilnahme der Iraner an der geplanten zweiten internationalen Syrien-Konferenz in Genf scheint mit Rohanis Wahl wahrscheinlicher geworden zu sein. "Wenn wir den Iran als einen der auswärtigen Konfliktakteure für den Syrienkonflikt beschreiben, dann müssen wir ihn natürlich auch an der Bearbeitung dieses Konfliktes beteiligen", so SPD-Außenexperte Rolf Mützenich.
Menschenrechte und Wirtschaftskrise
Auch innenpolitisch steht Rohani vor großen Herausforderungen. In den letzten Jahren hat der Iran nicht nur im Atomstreit, sondern auch aufgrund zunehmender Menschenrechtsverletzungen Schlagzeilen gemacht und für kritische Berichte seitens der UNO und diverser Menschenrechtsorganisationen gesorgt.
Zu Rohanis Wahlversprechen gehörten unter anderem die Freilassung politischer Gefangener, die Lockerung der Zensur sowie der gesellschaftlichen Überwachung durch die Sittenpolizei und der Ausbau von Frauenrechten.
Omid Nouripour, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, fürchtet, dass Rohani den Menschen einige wenige persönliche Freiheiten mehr einräumen, die wirklich heiklen Themen dabei aber ausklammern könnte.
Jetzt komme es drauf an, wie schnell die Leute, die in den letzten Jahren willkürlich verhaftet worden sind, wieder entlassen würden, so Nouripour. "Das beginnt bei Prominenten wie Nasrin Sotoudeh und natürlich auch dem ehemaligen Kandidaten Mussawi. Das ist der erste richtige Test für Rohani und seine Wahlversprechen."
Die größte Herausforderung, die Rohani zu bewältigen hat, bleibt jedoch die katastrophale wirtschaftliche Lage im Iran. Im Vorfeld seines Amtsantritts kündigte er an, in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit eine "realistische und getreue Analyse" der Wirtschaftsprobleme vorzulegen und Lösungswege und Ansätze zur Krisenbewältigung zu präsentieren. Eine Lockerung der Sanktionen durch einen möglichen Fortschritt im Atomstreit könnte der iranischen Wirtschaft vielleicht etwas Luft verschaffen.
Nicht wenige Probleme sind jedoch auch durch Missmanagement und Misswirtschaft der letzten Regierung unter Ahmadinedschad entstanden. "Das Land hat außerordentlich große hausgemachte Probleme", bekräftigt auch SWP-Experte Walter Posch, blickt aber auch vorsichtig optimistisch in die Zukunft: "Rohani als jemand, der mit allen politischen Lagen umgehen kann, ist da sicherlich der richtige Mann."
Shahram Ahadi
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de