Die Wüste bebt
Yans Zigarette ist zerknittert. Die ersten Tabakkrümel fallen bereits heraus, so lange schon nimmt er sie nervös von der einen in die andere Hand. Zum Rauchen ist keine Zeit. Die New York Times ist da, die BBC. Aus Italien und Deutschland, selbst aus Ungarn sind die Reporter nach Nefta gekommen, um zu berichten. Drei Tage Beats und Bässe in der Wüste – die ganze Welt soll von "Les Dunes Electroniques" erfahren, Nordafrikas größtem elektronischen Musikfestival.
"Es gibt zig Festivals in Europa, warum also nicht hier?", entgegnet Yan Degorce einigen Journalisten, die sich um ihn versammelt haben. Mit seinem französisch-tunesischen Team stellt er das Festival schon zum zweiten Mal auf die Beine. "Wir sind zum Tourismusminister gegangen und haben gesagt: Ihr habt ein Problem mit dem Tourismus im Süden des Landes, wir haben eine Idee."
Im Ministerium stieß der Vorschlag auf offene Ohren, denn nach Südtunesien kommen nur wenige Touristen. Acht von zehn Tunesien-Urlaubern bevölkern die Hoteltürme an der Mittelmeerküste. Wie kein anderes Land der Region steht Tunesien für billigen Badeurlaub mit Sonnengarantie. "Wenn sie erst mal zum Festival kommen", sagt Yan, "bleiben sie vielleicht länger im Süden oder kommen später noch einmal zurück."
Auf dem Festivalgelände, umrahmt von berghohen Sanddünen, erheben sich zwei mächtige Boxentürme. Wie Iglus aus Sand zeichnen sich einige kleine Wüstenhäuser hinter der Bühne ab. Hier drehte George Lucas in den 1990er Jahren seine legendären Star-Wars-Filme, Episode I und II. Selbst eine heruntergekommene, aber in frischem Grau gestrichene Rakete der Originalfilmkulisse steht noch. "Dunes Electroniques – Episode II" haben die Veranstalter ihr Festival in Anlehnung an Star Wars dieses Jahr genannt. In Mos Espa, Darth Vaders Heimatdorf auf dem Fantasieplaneten Tatooine, bereiten sich die ersten DJs auf ihren Auftritt vor.
Prinzessin Lea und Darth Vader
Kein Wunder, dass sich auch einige Star-Wars-Fans unter die Festivalbesucher gemischt haben. Eine Prinzessin Lea, bleiches Gesicht und streng geflochtenes Haar, lächelt in die Kamera, ein Darth Vader posiert für einige Reporter. Mit ihren Kostümen sind sie bei den vielen Fotografen besonders beliebt.
Mehr als 250 Journalisten seien angereist, sagt Jan Degorce. Die Veranstalter haben sie eingeladen, aber auch das tunesische Tourismusministerium hat nicht gegeizt. Unter dem Titel "Der neue Lifestyle im Süden Tunesiens" hat das Fremdenverkehrsamt allein aus Deutschland 15 Reporter eingeflogen. 60 weitere ließ es aus Russland, Schweden, Großbritannien und Osteuropa kommen. "Les Dunes Electroniques" sollen künftig auch Gäste aus Europa anziehen, im Februar, wenn die Festivalsaison in Europa lange vorbei ist und der Ticketverkauf für die nächste Saison kaum begonnen hat.
Für die tunesische Regierung ist die Unterstützung der "Dünisten", wie sich die Elektro-Liebhaber nennen, Teil einer neuen Tourismusstrategie. "Unser Ziel ist es, das Angebot zu diversifizieren", sagt Tourismusministerin Salma Elloumi Rekik. Weg von den Stränden, rein ins Land, lautet ihr Regierungsprogramm. Vor allem der Süden Tunesiens habe Entwicklung nötig. Neben mehreren über die Region verstreuten Star-Wars-Kulissen soll das Festival das Zugpferd sein, das die Touristen ins Landesinnere bringt.
Leuchtturm in der arabischen Welt
Während in Libyen und in Syrien Bürgerkrieg herrscht und die Aufbruchstimmung in Ägypten einer neu aufgelegten Diktatur gewichen ist, inszeniert sich Tunesien mit einem Elektro-Festival als modernes, weltoffenes Land. Tanz statt Terror, so die Message. Die Veranstalter sprechen die passenden Sätze in die Diktiergeräte: "Nach der Revolution wollen die Leute Party machen", sagt eine von ihnen. "Die elektronischen Dünen seien das Symbol des neuen Tunesiens".
Das Land gilt als Leuchtturm in der arabischen Welt. Wenn der Neuanfang in Tunesien misslingt, ist oft zu hören, dann scheitert die Demokratisierung in der gesamten Region. Doch danach sieht es nicht aus. Zwar ist die Bedrohung durch Terroristen hoch und die Lage an der Grenze zu Libyen kritisch, doch Tunesiens Parlament und Präsident sind frei gewählt. Seit Februar steht eine auf fünf Jahre gewählte Koalitionsregierung. Und die Islamisten der "Ennahda"-Partei, die mit einem Ministerposten an der Regierung beteiligt sind, halten sich an die demokratischen Spielregeln.
Auch die jungen Leute hätten mehr Freiheit, sagte die Bürgerrechtlerin Emna Menif jüngst am Rande einer Veranstaltung in Berlin. "Wir haben eine lange Tradition von Jugendkultur." Doch erst die Revolution 2011 habe sie aus den Fängen des Regimes befreit. "Früher wurde Jugendkultur von oben herab bestimmt, heute können die Leute tun, was sie wollen", so Menif.
Das Bild Tunesiens als Hoffnungsschimmer in einem Meer aus Verwüstung teilt Menif allerdings nur begrenzt. Den Islamisten misstraut sie. Dass sie gezähmt werden könnten, indem man sie in die Politik einbindet, glaubt sie nicht. Überhaupt täusche der Optimismus vieler Beobachter über die Probleme im Land hinweg. Es gebe zwei Gesellschaften in Tunesien. "Die eine ist aufgeklärt und modern, die andere an den Rand gedrängt und sozial marginalisiert", meint die Bürgerrechtlerin.
"Die 'Dunes Electroniques' sind ein tolles Festival, aber leider völlig losgelöst von unserer Kultur", kritisiert sie. "Wir müssen die Kultur ändern. Das erst wäre die wahre Revolution." Mit einem Elektro-Festival mehrere Autostunden von den Städten und Dörfern des Nordens entfernt werde das nicht gelingen. Es sei unmöglich für die einfachen Leute, zu den 'Dunes' zu gelangen. Auch die rund 45 Euro für den Festival-Pass dürften für manch einen jungen Tunesier ein zu teurer Spaß sein.
Coca Cola statt Politik
Draußen auf dem Parkplatz, vor den Sicherheitskontrollen, haben einige Anwohner aus dem Oasenstädtchen Nefta ihre Stände aufgebaut. Es gibt Kaffee, Datteln und Sandwichs. Für die wenigen ausländischen Festivalbesucher haben sie Wüstenrosen und die für die Gegend typischen Kaschabias mitgebracht, lange Gewänder mit spitz zulaufenden Kapuzen – auffällig ähnlich denen, in die auch George Lucas seine Planetenbewohner kleidete.
Drinnen auf dem Festivalgelände verteilt Coca Cola Werbematerial, "I love my Beer" hat sich einer auf seinen Hut geschrieben, und einem Besucher in buntem Muskelshirt und Sonnenbrille steht das Glück regelrecht ins Gesicht geschrieben, als der Bass einsetzt und er sich, einem tanzenden Derwisch gleich, mit ausgestreckten Armen um die eigene Achse dreht. Allein die Dutzenden Polizeifahrzeuge und die schwer bewaffneten Soldaten auf den Kämmen der Sanddünen erinnern an die angespannte Sicherheitslage im Land.
Mehr Sorgen als die Politik bereitet das Wetter. Schon das Opening musste um einen Tag verschoben werden, so stark regnete und stürmte es. Mehrere DJs flogen aus dem Programm. Anstatt unter freiem Himmel legten die übrig gebliebenen DJs in den naheliegenden Hotels auf.
Doch auch einen Tag später färbt sich der Himmel hinter den sandfarbenen Dünen immer dunkler. Einige Stunden halten die Tänzer dem heftigen Regen im Matsch der Wüste noch Stand. Dann, auf einmal, geht die Musik aus. Die elektronischen Dünen gehen dieses Jahr im Wasser unter. Episode 3 folgt.
Jannis Hagmann
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