Die langen Schatten der Armee

Ayesha Siddiqa analysiert mit "Military Inc.: Inside Pakistan's Military Economy" die Verflechtungen der Armee im öffentlichen Leben und ihren gewaltigen wirtschaftlichen Einfluss in Pakistan.

Von Irfan Husain

​​Wenn sich Pakistaner über die langen Schatten der Armee in ihrem Land unterhalten, sagen sie oft halb im Scherz: Während andere Länder eine Armee haben, gehört in Pakistan das Land der Armee.

Dieser zynische Satz spiegelt den weitgehenden Konsens darüber wieder, dass das Militär in Pakistan sich praktisch jedes Bereichs des öffentlichen wie wirtschaftlichen Lebens bemächtigt hat – vom Hockey bis zu den Gesundheitseinrichtungen auf dem Land.

Die Omnipräsenz des Militärs

Über 1000 pensionierte sowie noch aktive Offiziere wurden mit öffentlichen Ämtern verschiedenster Art bedacht. Und genau diese übermäßige Präsenz militärischer Amtsträger in Industrie, Bankenwesen sowie im Immobiliensektor ist auch das Thema des kürzlich erschienenen Buches "Military Inc.: Inside Pakistan's Military Economy" von Ayesha Siddiqa.

Vor einigen Monaten versuchte die pakistanische Regierung noch, das Buch dadurch zu torpedieren, dass es die Buchpremiere der Oxford University Press im Islamabad-Club kurzerhand verbot.

Diese ungeschickte Reaktion war fast wie ein Gütesiegel und verschaffte dem Buch eine Aufmerksamkeit, die es sonst möglicherweise gar nicht bekommen hätte.

Unbeabsichtige Werbung

Nach Angaben von Dr. Siddiqa waren bereits einige Tage nach der Veröffentlichung keine Exemplare mehr in den Buchhandlungen von Karachi und Lahore erhältlich, was den Verdacht nahe legt, dass der allgegenwärtige Geheimdienst des Landes die komplette erste Auflage aufgekauft hat.

Mit "Military Inc." liefert die Autorin die erste wissenschaftliche Untersuchung der Verflechtungen des Militärs im öffentlichen Leben Pakistans und seines Einflusses in der Wirtschaft des Landes. So handelt es sich durchaus um ein Sachbuch im engeren Sinne, und keineswegs um einen Sensationsreißer, der die Armee aufs Korn nähme.

Hätte die Regierung Musharraf dem Buch durch ihr Verhalten nicht so viel kostenlose Werbung zukommen lassen, wäre es gut möglich, dass es gar nicht so viele Leser gefunden hätte. So aber wurde es in den Medien ausgiebig diskutiert.

Synthese von Militär und Business: "Milbus"

Die Autorin prägt den Begriff "Milbus" als Kürzel (ausgesprochen "milbiz", also eine Zusammenziehung von Militär und Business), um die von ihr dargestellten Geschäftsinteressen der Armee zu charakterisieren. Ihre Definition lautet folgendermaßen:

"Milbus bezieht sich auf das militärische Kapital, das zum persönlichen Nutzen der Militärs eingesetzt wird, insbesondere für die Offiziersränge. Es handelt sich um ein Budget, das weder registriert wird, noch Teil des offiziellen Wehretats ist [...], die Erlöse fließen in den meisten Fällen einzig den Offizieren selbst zu, [...] die oberste Befehlsebene der Streitkräfte – Hauptprofiteure von 'Milbus' – rechtfertigen die Erlöse üblicherweise als Vergütungen, die dem Militär als Entgelt für geleistete Dienste im Staatsdienst zustehen."

Eine andere Rechtfertigung, die vom Militär vorgebracht wird, besteht darin, dass die Effizienz und Disziplin, die ihnen eigen sei, ihre Geschäfte erfolgreicher gestalten würden als die ihrer zivilen Konkurrenten.

Staatliche Subventionen in Milliardenhöhe

In Wirklichkeit wird hier jedoch mit gezinkten Karten gespielt. Den Unternehmungen des Militärs fließen viele nicht sichtbare Summen zu, die es ihnen erlauben, insgesamt zu geringeren Kosten zu arbeiten. Tatsächlich bekommt das Militär jedes Jahr staatliche Subventionen in Milliardenhöhe, und Dr. Siddiqa hat einige davon aufgelistet.

"Military Inc." ist eine Fallstudie über Pakistan vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe anderer Länder mit autoritären Tendenzen. Jeder, der sich einige Zeit in Pakistan aufgehalten hat, kann seine persönlichen Geschichten von "Milbus" erzählen, doch blieben diese bislang eher Anekdoten und konnten nicht durch genau recherchierte Zahlen untermauert werden.

Doch gerade diese politische Dimension des Phänomens ist es, die den gewöhnlichen Pakistanern am meisten Sorge bereitet. Und so schreibt auch die Autorin im abschließenden Kapitel ihres Buches:

"Die schwerwiegendste Konsequenz des militärischen Einflusses auf das wirtschaftliche Leben des Landes besteht in dem Verhältnis der Armee zur politischen Kontrolle des Staates. Die finanzielle Autonomie der Armee sorgt dafür, dass das Offizierskader ein vitales Interesse daran hat, die politische Kontrolle über das Land aufrechtzuerhalten. Da politische Macht mit immer größeren finanziellen Vorteilen einhergeht, versucht das Militär alles, um an diesem Zustand festzuhalten. In dieser Hinsicht sind die wirtschaftlichen und politischen Interessen in einem zyklischen Prozess miteinander verknüpft."

Festhalten an der Macht

Daher haben die Offiziere allen Grund, ihre Macht zu verteidigen. Es gibt einfach keinen Anreiz für sie, diese freiwillig abzugeben. Vor diesem Hintergrund scheint es sogar noch die beste Perspektive zu sein, dass sich die Armee zu scheinbaren Zugeständnissen durchringt, Kontrolle über die politische Macht wenigstens pro forma an eine zivile Regierung abzutreten, damit es zu keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt.

So geschah es schließlich schon einmal, nämlich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, nach dem Tod von General Zia ul-Haq.

Während Pakistans Probleme sich zuspitzen, kommen immer mehr Menschen zu dem Schluss, dass das Militär hieran einen großen Anteil hat und keine Lösung für die Probleme bietet. Das jüngste Treffen Musharrafs mit Benazir Bhutto kann als Zeichen seiner Schwäche angesehen werden; genauso aber auch als ein Zeichen dafür, dass die Armee erkannt hat, dass es Zeit ist, allmählich aus dem Rampenlicht zu treten.

Krebsgeschwür der Militärherrschaft

Ayesha Saddiqa ist es gelungen, auf wissenschaftlicher Grundlage das Krebsgeschwür, das die Militärherrschaft für das Land darstellt, aufzuzeigen. Gleichzeitig aber hat sie gezeigt, warum das Offizierscorps seine Macht nicht kampflos abgeben wird.

So lohnt es sich, sich die tatsächlichen Ausmaße der finanziellen Transaktionen zugunsten der Militärs vor Augen zu halten: Die Subventionierung der Unternehmen durch den Staat mache jede faire Konkurrenzsituation zunichte.

Gleichzeitig aber werden Milliarden in den Wehretat gesteckt, auf Kosten des Gesundheits- und des Bildungswesens. Im Steuerjahr 2004-2005 beispielsweise flossen 3,2 Prozent des Bruttosozialprodukts in den Verteidigungsetat, nur 0,6 Prozent aber in den Gesundheitsbereich und nur 2,1 Prozent in das Bildungswesen.

Es liegt auf der Hand, dass solche Verzerrungen die Verhältnisse verschlimmert haben, die Arbeitslosigkeit weiter steigen wird und der Analphabetismus dem Extremismus in die Hände spielt. Solange das Militär in jedem gesellschaftlichen Bereich präsent ist, wird Pakistan kein stabiles und sicheres Land sein.

Irfan Husain

© Qantara.de 2007

Aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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