"Schlimmer als Ahmadinedschad kann keine Frau sein"
Frau Abbasgholizadeh, Sie gehören zu den Pionieren der Frauenbewegung im Iran. Seit mehr als vier Wahlperioden fordern Sie, dass auch Frauen für das Präsidentenamt kandidieren können. Die verantwortlichen Behörden wiederum sagen: Frauen könnten sich sehr wohl registrieren lassen und würden nicht diskriminiert, sie seien für das Amt nur nicht qualifiziert. Wo genau liegt das Problem?
Mahboubeh Abbasgholizadeh: Das liegt an der Verfassung. Ob eine Frau das Amt des Staatspräsidenten übernehmen kann oder eben nicht, ist nicht geklärt. Die Verfassung gibt dazu keine eindeutige Antwort. Artikel 115 der Verfassung besagt, der Staatspräsident müsse aus den Reihen der politischen "Redschal" kommen. Das arabische Wort "Redschal" bedeutet "Männer", kann aber auch "Persönlichkeiten" bedeuten.
Für uns ist klar, dass mit diesem Wort definitiv "Männer" gemeint ist. Und Fakt ist: Jede Frau, die sich in den vergangenen 38 Jahren nach der islamischen Revolution für das Amt des Präsidenten beworben hat, wurde letztlich abgelehnt. Wir wollen das ändern. Wir - und damit meine ich das ganze Spektrum von Frauenaktivistinnen - wollen, dass dieses Wort geändert wird.
Die ganze Verfassung der Islamischen Republik Iran basiert auf die Scharia. Die Gesetze machen Frauen zu unmündigen Staatsbürgern. Alle wichtigen Entscheidungen werden von den Vätern oder Ehemännern getroffen. Warum ist gerade der Artikel 115 so wichtig?
Abbasgholizadeh: Wir können nicht auf die Gleichberechtigung der Frauen auf politischer Ebene verzichten, weil andere Gesetze im Iran die Frauen diskriminieren oder weil es keine demokratische Basis gibt. Wir kämpfen für die politische Partizipation der Frauen. Und wir wollen, dass der Weg bis ins höchste Amt auch für Frauen frei ist. Wir wissen aber auch, dass damit nicht alles getan ist.
Weder das Amt des Staatspräsidenten, noch eine Frauenquote in der Politik kann die Demokratie in einer Gesellschaft garantieren. Werfen Sie einen Blick auf die afrikanischen Länder, zum Beispiel Ruanda. Ruandas Parlament hat die höchste Frauenquote weltweit. Das heißt aber nicht, dass Ruanda damit demokratisch ist. Die politische Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ist nur ein Schritt in Richtung Demokratie.
Warum setzen Sie sich nicht realistische Ziele? Zum Beispiel, dass ein Frauen- und Familienministerium gegründet wird oder dass jede Regierung einige Ministerien mit Frauen besetzt?
Abbasgholizadeh: Wir wollen eine institutionelle Veränderung, eine grundlegende Veränderung. Wir wollen, dass die Verfassung geändert wird. Es geht um unsere Rechte und nicht um die Besetzung von Posten in der Regierung. Wir wollen Klarheit über unsere Möglichkeiten. Wir wollen aber auch ein Zeichen setzen: Dass die Verfassung der Islamischen Republik Iran nicht heilig ist und geändert werden kann.
Die iranische Gesellschaft ist eine traditionelle Gesellschaft. Generell treten Frauen selten als Entscheidungsträgerinnen auf. Könnte eine Präsidentschaftskandidatin diese Gesellschaft überfordern?
Abbasgholizadeh: Unsere Strategie basiert auf Wandel. Wir haben einen langwierigen Prozess begonnen und müssen unsere Forderungen klar definieren. Wir wollen der Gesellschaft Anstöße geben. Sie soll sich beteiligen und ihre Meinung äußern. Für das Amt des Präsidenten zu kandidieren sollte das Recht jeder Person mit iranischer Staatsangehörigkeit sein, unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer Religion. Jetzt haben dieses Recht allein Männer mit schiitischem Glauben.
Wir wollen, dass die Gesellschaft ihre Bürgerrechte wahrnimmt. Warum sollen nur Frauen für das Amt des Staatspräsidenten disqualifiziert sein? Wissen Sie wie viele unqualifizierte Männer an der Macht diesem Land geschadet haben? Denken Sie nur an Ex-Präsident Mahmoud Ahmadinedschad. Der Hardliner hat in seinen zwei Amtszeiten zwischen 2005 und 2013 mit Drohungen gegen Israel und dem Ausbau des Atomprogramms kontinuierlich für Spannungen mit dem Westen gesorgt - und damit für die politische und wirtschaftliche Isolierung des Landes. Schlimmer als er kann keine Frau sein.
Das Interview führte Mitra Shodjaie.
© Deutsche Welle 2017
Mahboubeh Abbasgholizadeh ist eine iranische Frauenrechtsaktivistin und Filmemacherin. Wegen ihres Engagements wurde sie mehrfach festgenommen. Seit 2010 lebt sie außerhalb des Iran, derzeit in den USA. Dort hat Abbasgholizade 2012 "Zanan TV" gegründet, einen webbasierten TV-Kanal, der die Situation von Frauen in Politik und Gesellschaft thematisiert.