Anknüpfen an die Tradition des Kulturaustauschs
Jugendliche skandieren Sprechchöre für die syrische Regierung, es klingt wie eine politische Demonstration und geht zu wie in einem Fußballstadion vor einem Lokalderby. In Wirklichkeit warten die Jugendlichen auf den Beginn einer Kulturveranstaltung des Seidenstraßenfestivals in Palmyra, in einem der schönsten Amphitheater der Welt, inmitten einer Ruinenstadt, in der vor knapp zweitausend Jahren eine faszinierende römische und orientalische Kultur blühte.
"Syrien war in der Antike der Mittelpunkt der Welt, eine Drehscheibe", sagt der syrische Tourismusminister Saad Allah Agha Al-Kalaa. "Alle Karawanen, die aus China kamen und bis nach Italien reisten, passierten Damaskus; auf dem Seeweg wurden Güter sogar von Japan bis an die Euphratmündung transportiert und dann 300 Kilometer auf dem Landweg durch Syrien, bevor sie über das Mittelmeer nach Europa geschifft wurden. Es wurden aber nicht nur Güter ausgetauscht, sondern auch Ideen, Philosophie, Musik, Textilien, Mode - all das soll jetzt wieder auferstehen."
Vorurteile abbauen
Syrien sucht den Anschluss an die internationale Welt. Zum "Silk Road Festival" präsentiert sich das Land mit Musik und prachtvollen Tanzshows. Nicht das Kulturministerium ist zuständig für dieses Festival, sondern das Tourismusministerium. Die klare Botschaft: Touristen sollen ins isolierte Syrien kommen, das Land kennen lernen - und vor allem die Vorurteile und Klischees vom so genannten "Schurkenstaat" abbauen.
Seit dem Amtsantritt von Präsident Bashar al-Assad hat sich in Syrien eine kleine, aber wichtige freie Kulturszene entwickelt. Kritik am Staat ist durchaus erlaubt - solange sie nicht für eine der zahlreichen Ethnien Partei ergreift und die Religionsfreiheit nicht antastet. Der Künstler Ahmed Moualla beispielsweise mahnt in seiner politisch engagierten Kunst eine Fortsetzung des Demokratieprozesses an. Es geht vielen zu langsam voran in Syrien, selbst der Staatspräsident ist unzufrieden mit dem Tempo der Reformen.
Klassische arabische Musiktradition aus dem Irak
Die Eröffnungsveranstaltung in Damaskus hat viel mit Märchen, Zirkus und Folklore zu tun. Ein Dutzend Kamele tritt unter freiem Himmel auf, galoppierende Pferde und Akteure, die in die Menge winken wie beim Einmarsch der Athleten zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1972 in München. Aber dann gibt es auch große Momente. Da tritt die Gruppe Sahar Taha aus dem nahen Irak auf, in Deir al-Zor, dem letzten großen Ort am Euphrat vor der Grenze zwischen Syrien und dem Irak. Unter abenteuerlichen Umständen sind sie hergekommen, junge Musiker, die die klassische arabische Musiktradition pflegen und von den Syrern begeistert gefeiert werden. Jedes Jahr veranstaltet Syrien jetzt ein Seidenstraßenfestival. Es begann 2002 mit den Feiern für die Königin Zenobia in Palmyra, 2003 war Aleppo, wo im 13. Jahrhundert die Karawanen aus Venedig eintrafen, Gastgeber des Festivals.
Multikulturelles Modell Syrien
In diesem Jahr ging es vor allem um Religion und Kultur. Der Herrscher von Damaskus ist traditionell Schutzherr aller Mekka-Pilger; aber es gibt hier auch viele Christen, Alewiten, Drusen und andere Religionen, ein Mosaik aus 16 verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die seit Jahrtausenden friedlich zusammenleben. Das ist die Botschaft Syriens, des angeblichen "Schurkenstaates", an die Welt. "Wir wollen zeigen, wie harmonisch die Syrer zusammen leben - nicht nur in gegenseitiger Achtung, sondern in Harmonie", so der Tourismusminister. "Dies liegt daran, dass wir seit 3000 Jahren über die Seidenstraße Ideen mit anderen Kulturen austauschen - und wir werden das weiterhin tun. Syrien ist ein multikulturelles Modell - und dieses Modell würden wir gerne in die ganze Welt exportieren - vor allem, wenn wir sehen, was gleich hinter unseren Grenzen geschieht."
Werner Bloch
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