Teufel gegen Beelzebub?

Mittelfristig sollen in Deutschland Aussteigerprogramme für Islamisten entstehen – vergleichbar mit denen, die bereits für Rechtsextremisten existieren. Die Frage ist jedoch, wie effizient diese Programme sein können und ob sich Islamisten davon beeindrucken lassen. Von Albrecht Metzger

Symbolbild Islamisten in Deutschland; Foto: dpa
Ausstieg statt Dschihad: Im Bundesinnenministerium und beim Verfassungsschutz wird bereits seit längerem darüber nachgedacht, wie Aussteigerprogramme für Islamisten entwickelt werden können.

​​ Menschen sind wandelbar, deswegen kann ein Extremist, egal welcher Couleur, nach einem Prozess des Umdenkens wieder in den Schoß der bürgerlichen Gesellschaft zurückkehren. Manchmal bedarf es jedoch der Unterstützung von außen, um diesen Prozess erfolgreich zuende zu führen.

Denn für Aussteiger kann es gefährlich werden, wenn sie ihre ehemaligen Kampfgenossen verlassen. Außerdem brauchen sie eine Perspektive für das, was nach der Abkehr folgen soll. Wer extremistischen Ideologien anhängt, bewegt sich meist in verschworenen Gemeinschaften, deren Mitglieder sich materiell wie ideologisch gegenseitig unterstützen.

Wer ein solches Milieu hinter sich lässt, braucht Alternativen. Deswegen gibt es für Rechtsextremisten seit längerem Aussteigerprogramme, die genau das leisten sollen: Schutz gegen mögliche Racheakte verprellter Neonazis und Hilfe beim Aufbau einer neuen Existenz.

Für Islamisten gibt es derartige Programme bislang noch nicht. Das Phänomen ist vergleichsweise neu in Deutschland – rechtsextremistische Gruppen sind bereits seit 40 Jahren aktiv, Islamisten hingegen, zumal in ihrer gewaltbereiten Variante, erst seit vergleichsweise kurzer Zeit.

Aussteigerprogramme im Anfangsstadium

Aufsehen erregt derzeit der Prozess gegen die so genannte Sauerland-Zelle in Düsseldorf, deren Mitglieder vor rund zwei Jahren Sprengstoffanschläge auf amerikanische Einrichtungen planten. Die Angeklagten sind weitgehend geständig und haben den ermittelnden Behörden tiefe Einblicke in die gewaltbereite Islamisten-Szene in der Bundesrepublik ermöglicht.

Der Hauptangeklagte Felix Gelowicz hat bereits angekündigt, er wolle, nachdem er für seine Strafe gebüßt hat, eine Familie gründen und ein Leben entsprechend den Regeln des Islams führen. Hätte er den Absprung früher geschafft, wäre ihm die Gefängnisstrafe erspart geblieben.

Um jungen Männern wie Felix Gelowicz den Weg aus dem Islamismus zu weisen, gibt es derzeit auf staatlicher wie auf nicht-staatlicher Ebene mehrere entsprechende Initiativen. Doch noch befindet sich alles im Gründungszustand. Derzeit finde eine Art "Brainstorming" statt, wie es ein Beobachter nennt.

Mittelfristig sollen aber Aussteigerprogramme entstehen – vergleichbar mit denen, die bereits für Rechtsextremisten existieren. Die Frage ist, wie effizient diese Programme sein können und ob sich Islamisten, die in einer geschlossenen Welt leben, davon beeindrucken lassen.

Ferner stellt sich die Frage, welche Unterschiede zwischen Rechtsextremisten und Islamisten bestehen und wie sich diese bei den Bemühungen niederschlagen, sie zum Ausstieg aus der Szene zu bewegen.

Erfahrungen bei "Exit Deutschland"

Eine Organisation, die Erfahrungen auf diesem Gebiet hat, ist "Exit Deutschland". Sie arbeitet mit ehemaligen Neonazis zusammen, die ihre Vergangenheit hinter sich gelassen haben und nun dabei helfen, Rechtsextemisten den Ausstieg aus dem Extremismus zu erleichtern.

​​Das fängt bei der Berufsberatung an und geht bis zur Unterstützung beim Wohnortwechsel, der in heiklen Fällen notwendig werden kann. Rechtsextremisten sind bekanntlich nicht zimperlich, wenn es um die Anwendung von Gewalt geht.

Seit neuestem wendet sich "Exit Deutschland" nun auch dem Islamismus zu, allerdings auf niedrigerem Niveau, im Rahmen des Projektes "Exit Familienhilfe". "Bislang gibt es noch keine Aussteiger aus der Islamistenszene, die mit uns zusammen arbeiten", sagt Claudia Dantschke, die bei "Exit Familienhilfe" für den Islamismus zuständig ist. "Wir beraten zunächst einmal Familien, die sich an uns wenden, wenn eines ihrer Kinder sich einer islamischen Sekte oder einer islamistischen Organisation angeschlossen hat. Wir helfen ihnen dabei, die Lage einzuschätzen, ob sie gefährlich ist oder nicht."

Oft sind es Konvertiten, um die es geht, allerdings nicht nur. Selbst gläubige muslimische Eltern kämen auf ihre Organisation zu, so Dantschke. "Die suchen nach Hilfe im außer-islamischen Bereich, und da können wir eine Lücke füllen. Es muss nicht immer gleich der Verfassungsschutz einschreiten."

Islamistischer Ehrenkodex

Keine Erfahrung hat "Exit Deutschland" bislang mit gewaltbereiten Islamisten. "Mit Terrorismus hatten wir noch nichts zu tun, allerdings würden wir auch auf diesem Gebiet helfen, wenn wir darum gebeten werden", so Dantschke.

Die Angeklagten Adem Yilmaz und Daniel Schneider während des Sauerland-Prozesses; Foto: AP
Seit vergangenem April müssen sich vier Angeklagte vor Gericht verantworten, weil sie eine deutsche Zelle der Islamischen Dschihad Union gegründet und Anschläge mit Autobomben in Deutschland geplant haben sollen.

​​ Was die grundsätzliche Ausstiegsbereitschaft von Islamisten betrifft, sieht die Islamismus-Expertin ein Problem darin, dass es eine Propagandaebene gebe, die nur schwer zu durchbrechen sei: "Die Leute sind religiös, sie fühlen sich als Muslime, ihnen wird suggeriert, sie verließen den Islam, wenn sie der Gruppe den Rücken kehren."

Laut Bernd Wagner, Gründer von "Exit Deutschland", spielt der Ehrenkodex bei den Islamisten sogar eine größere Rolle als bei den Rechtsextremisten. "Aussteigen ist vielleicht auch das falsche Wort, weil man aus dem Islam nicht aussteigen kann", sagt Benno Köpfer vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg. "Wir sprechen deswegen lieber von De-radikalisierung."

Benno Köpfer verfolgt die Diskussion um die Ausstiegsprogramme genau, zumal auch unter Verfassungsschützern die Einsicht wächst, dass man mit Repression alleine nicht den Sumpf des Islamismus austrocknen kann. In Nordrhein-Westfalen etwa führt das Landesamt für Verfassungsschutz Gespräche mit Verbänden und Moscheen und lotet eine Zusammenarbeit bei möglichen Ausstiegsprojekten aus.

Andere Verfassungsschutzämter könnten diesem Schritt folgen. "Unser Vorteil ist die Diskretion", sagt Köpfer, "das macht uns als Ansprechpartner wertvoll. Wenn jemand anonym bleiben will, erfährt die Außenwelt nichts davon, wenn er mit uns redet. Vertraulichkeit ist uns das Höchste."

Über die Effektivität solcher Maßnahmen besteht allerdings kein Konsens. "Wenn man jemand zum Ausstieg bewegt, muss man ihm Alternativen anbieten", sagt ein Islamwissenschaftler beim Verfassungsschutz, der den Ausstiegsprogrammen skeptisch gegenüber steht und anonym bleiben will. "Aber diese Alternativen gibt es nicht. Wenn ein Rechtsextremist aussteigt, kann er in die Gesellschaft zurückkehren. Ein ehemaliger Islamist ist dann immer noch Araber oder Türke und muss möglicherweise weiter mit Diskriminierungen leben. Der Verfassungsschutz kann da nicht helfen."

Dieses Gefühl, diskriminiert zu werden, treibt aber gerade Muslime mit Migrationshintergrund in die Arme der Islamisten. Dort finden sie Geborgenheit, eine neue Heimat. "Du hast eine nette Gemeinschaft", sagt der Verfassungsschützer, "du bist auch wer, hast neue Freunde gefunden. Wo sollst du hin, wenn du aussteigst? Zu deinen alten Freunden, die inzwischen Autoknacker geworden sind? Das ist für viele die Alternative."

Salafismus gegen radikale Islamisten?

Parteikongress der Hizb ut-Tahrir in London; Foto: AP
Neuer Hoffnungsträger im Kampf gegen den radikalen Islam? Ehemalige Mitglieder der Hizb ut-Tahrir arbeiten heute in Großbritannien gegen den islamischen Extremismus.

​​ In England ist die Entwicklung diesbezüglich schon weiter. Dort gibt es bereits Organisationen, die Islamisten beim Ausstieg aus der Szene helfen. Besonders prominent ist die "Quilliam-Foundation", die im vergangenen Jahr von ehemaligen Mitgliedern der Hizb ut-Tahrir gegründet wurde.

In Deutschland ist die Hizb ut-Tahrir wegen antisemitischer Hetze seit langem verboten. Weil sie selbst ehemalige Islamisten sind, kennen die Gründer der "Quilliam-Foundation" die islamistischen Diskurse und können entsprechend argumentieren und auf die Leute zugehen.

Auch die englische Polizei versucht, über Mittelsmänner Einfluss auf die Islamistenszene zu nehmen. So gibt es inzwischen landesweit so genannte "Muslim Contact Units", Einheiten der Polizei, die Kontakt zu Moscheen halten und dabei helfen, Radikalisierungstendenzen aufzudecken.

Das Konzept ist nicht unumstritten, weil es auch die Zusammenarbeit mit salafitischen Moscheen beinhaltet. Unter den Salafiten gibt es verschieden Strömungen, die von friedlich bis dschihadistisch reichen. Die Polizei arbeitet mit den friedlichen Tendenzen zusammen – in der Hoffnung, so den gewaltbereiten das Wasser abgraben zu können.

Kritiker dieses Konzepts bemängeln jedoch, dass auf diese Weise der Salafismus, eine letztlich fundamentalistische Ausrichtung des Islams, legitimiert werde. "Sie treiben den Teufel mit dem Beelzebub aus", wie es ein deutscher Verfassungsschützer unlängst auf den Punkt brachte.

Albrecht Metzger

© Qantara.de 2009

Albrecht Metzger ist Islamwissenschaftler und arbeitet als Journalist mit dem Schwerpunkt Islamismus.

Qantara.de

Die "Quilliam-Foundation"
Ein muslimischer Think Tank gegen Extremismus
Die im letzten Mai gegründete "Quilliam-Foundation" versteht sich als anti-islamistischer Think Tank, der von ehemaligen Mitgliedern der Hizb ut-Tahrir gegründet wurde. Für die Sicherheitsbehörden in Europa sind solche Aussteiger neue Hoffnungsträger im Kampf gegen den radikalen Islam. Albrecht Metzger berichtet weshalb.

Ed Husain: "Der Islamist"
"Ich glaubte an einen Gott voller Rache"
Ed Husain, ehemaliges Mitglied der islamistischen Gruppierung Hizb at-Tahrir, hat als erster Islamist ein Enthüllungsbuch über die Funktionsweise einer islamistischen Gruppe aus der Innenperspektive heraus vorlegt. Susannah Tarbush hat es gelesen.

Appell eines ehemaligen Islamisten aus Großbritannien
Setzt dem Terror ein Ende!
Der 27-jährige Hassan Butt wurde als Sohn pakistanischer Eltern in Manchester geboren und war in der radikalen islamistischen Gruppierung Al-Muhajiroun aktiv. Letztes Jahr wandte er sich vom religiösen Extremismus ab. Jetzt reagierte er mit dem folgenden Aufsatz auf die jüngsten Attentate in Großbritannien.