Chronik einer Revolution
In Cheheltans neuem Buch, das den Untertitel „Erinnerungen an Teheran 1979“ trägt, tritt der Erzähler in den Hintergrund. Anders als zum Beispiel in seinem Roman "Der Kalligraph von Isfahan" (2015) werden wir nicht auf die verschlungenen Lebenswege seiner Protagonisten geführt. Das Buch hat zwar eine fiktionale Ebene, doch die eigentliche Handlung spiegelt in einem reportageartigen Stil den Verlauf der Ereignisse, die unter dem Namen Islamische Revolution in die Geschichte eingegangen sind.
Cheheltan zitiert aus Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen und schöpft aus einem gut bestückten Archiv (seinem eigenen?), nennt Detail um Detail jener aufgewühlten Monate zwischen der Abdankung des Schahs und dem unaufhaltsamen Weg Ajatollah Khomeinis an die Spitze der Religionsführer. Es vergeht kein Tag, an dem nicht Menschen bei Polizeiaktionen sterben, sich Sabotageakte und Massenverhaftungen ereignen und sich die täglichen Hinrichtungen bald zu Hunderten summieren.
Ein Viertel ohne soziale Barrieren
Neben dieser politischen Erzählung gibt es im Buch ein Alter Ego des Autors, das im Alter von 22 Jahren in Teheran Literatur studiert und in einem zentral gelegenen Viertel wohnt, in dem es keine sozialen Barrieren gibt und wo in einer guten Mischung alle gesellschaftlichen Klassen vertreten sind. Es leben "Lehrer, Fabrikarbeiter und Einzelhändler Seite an Seite mit einem Arzt, einem Kapitalisten und sogar einem Mullah."
In Herrn Firuz' Spirituosenladen stehen die Bewohner, samt dem jungen Erzähler, um aufgeregt Neuigkeiten auszutauschen und im Stehen ein kühles Bier zu trinken. Zwar gibt es auch Bewohner, die als gläubige Muslime keinen Alkohol trinken und mehrmals am Tag in die Moschee gehen. Doch neben Firuz’ Stammkunden und den Moscheegängern existiert eine dritte Gruppe, die beides miteinander verbindet, die "Brückenbauer", für die nichts dagegen spricht sich Alkohol in Maßen zu gönnen und dennoch zu beten.
Diese seit Jahrhunderten gewachsene Lebenswelt, in der Toleranz und Verbundenheit mit den Nachbarn herrscht, wird im Verlauf des Jahres 1979 auf eine harte Probe gestellt und von den Folgen der Revolution stark beschädigt.
Der "Vater eines Märtyrers"
Der Erzähler spekuliert darüber, an welchem Ereignis sich der Beginn der Revolution festmachen lässt. Neben Daten der großen Politik stellt er Vorfälle in seinem Viertel zur Diskussion. Wie zum Beispiel jener Steinwurf eines wütenden Ajatollah-Anhängers, der am 5. November 1978 die Scheibe des Spirituosengeschäfts zertrümmert – ein Ereignis, das für sich genommen nicht von Bedeutung wäre, wäre Homajun, der junge Aktivist, der aus einer Gruppe aufgebrachter Demonstranten heraus den ersten Stein in Firuz' Laden wirft, nicht der Sohn des Besitzers, dem er dabei Aug in Auge gegenübersteht.
Kurz darauf nimmt Homajun an einer Anti-Schah-Demonstration teil und stirbt an den Folgen einer Schießerei. Von diesem Tag an, dem 1. Januar 1979, nennt sich Herr Firuz "Vater eines Märtyrers". Für den Erzähler ist dieses Ereignis der eigentliche Beginn der Revolution, die das ganze Land ins Chaos stürzt und in der die Bewohner monatelang in Terror und Angst leben.
Leider verliert der Erzähler im Verlauf der Ereignisse das Viertel aus dem Blick und kehrt nur sporadisch dorthin zurück. Sein Ton ist manchmal von leichter Ironie gefärbt, wenn er vom "Zeitvertreib in revolutionären Zeiten" spricht und damit den Straßenkampf von Jugendlichen meint, die Autoreifen in Brand setzen, Parolen rufen und Flugblätter verteilen und "mit des Kaisers Soldaten Katz und Maus" spielen.
Schwindende Zuversicht
Auf jeder Seite des Buchs wird deutlich, in welchen Zustand der Verrohung, des Terrors gegenüber Intellektuellen und Andersdenkenden ein Land in Zeiten des Umsturzes übergehen kann. Willkürherrschaft, Denunziantentum, systematische Verfolgung sind an der Tagesordnung.
Zwar keimt immer wieder Hoffnung auf, ein "Frühling der Freiheit" scheint nahe, Theaterstücke werden auf der Straße aufgeführt, weil die Theaterstätten zerstört sind. Doch diese Zuversicht schwindet rasch: "In den kommenden Jahren mussten alle jungen Leute sich in ein Leben der Askese und Enthaltsamkeit fügen. Mit Schlägen brachte man es ihnen bei." Gleichberechtigung und zuvor errungene Rechte der Frauen werden zurückgenommen und bald ist es unvorstellbar, dass im Fernsehen eine Sprecherin ohne Kopftuch zu sehen ist.
Dass in Herrn Firuz’ Spirituosenladen auch ein Papagei im Käfig hockt, der hartnäckig wiederholt "Lang lebe der Schah!", ist angesichts der harten Fakten, der blutigen Machtkämpfe bis hin zur Erstürmung der US-Botschaft in Teheran mit anschließender Geiselnahme nur eine Petitesse. Ein Buch, in dem die Geschichte sich buchstäblich gegen das Individuum stellt, das von den Ereignissen überrollt wird.
Volker Kaminski
© Qantara.de 2019
Amir Hassan Cheheltan: "Der standhafte Papagei. Erinnerungen an Teheran 1979", übersetzt von Jutta Himmelreich, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2019, 197 Seiten, ISBN: 9783957574800