Suche nach der perfekten Harmonie

Das Silk Road Ensemble setzt seit 20 Jahren beispielhafte Standards in kulturübergreifender Weltmusik. Der Dokumentarfilm "The Music of Strangers" zeichnet die Geschichte des ambitionierten Projekts nach. Von Marian Brehmer

Von Marian Brehmer

Die New York Times publizierte unlängst eine Liste von fünf herausragenden Beispielen für klassische Musik mit einer politischen Botschaft. Genannt war darin auch das Stück "Silent City" - eine Komposition des iranischen Kniegeigen-Virtuosen Kayhan Kalhor - aufgeführt in den USA vom Silk Road Ensemble, dem Kalhor seit nunmehr zwei Jahrzehnten angehört.

Musik verbindet, sie ist eine Sprache ohne Worte, die jeder sofort verstehen kann - dass dies nicht nur eine Plattitüde ist, beweist das Silk Road Ensemble seit seinem Entstehen. Das Ensemble ist eine der renommiertesten Kombinationen aus Weltmusikern jeglicher Couleur und ist in den letzten Jahren zu einem Paradebeispiel für die grenzüberschreitende Kraft der Musik geworden.

Weltklasse-Musiker zusammenführen

Das Projekt geht auf eine Vision des Cellisten Yo Yo Ma zurück, Weltklasse-Musiker aus den großen klassischen Musiktraditionen der Erde zusammenzuführen. Der Dokumentarfilm "The Music of Strangers" zeichnet nun nach, wie ihm das gelungen ist, von einem zusammengewürfelten Haufen unterschiedlicher Musiker zum Weltklasse-Ensemble.

Mit historischen Aufnahmen, die von Yo Yo Mas ersten Auftritten als Kind bis zu den ersten Konzerten des Silk Road Ensembles reichen, eröffnet sich dem Zuschauer ein gut recherchiertes Gesamtbild des Ausnahmeprojekts. Erstmals lud Yo Yo Ma im Jahr 2000 60 Komponisten und Musiker aus den Ländern der Seidenstraße, der kulturellen Hauptschlagader Asiens, ins nordamerikanische Massachusetts zum Kennenlernen ein. Die Reise, die von dort aus begann, ließe sich wohl als eine "Suche nach der perfekten Harmonie" betiteln - hochsymbolisch in einer Zeit, in der Missverständnisse zwischen den Kulturen Konjunktur haben.

Seitdem hat das Silk Road Ensemble sechs Alben aufgenommen und ist in 33 Ländern vor rund 20 Millionen Menschen aufgetreten. Und was für eine Lebensfreude dabei freigesetzt wird! Der Film beginnt mit einer lebhaften Szene, in der das Ensemble ausgelassen vor der Kulisse des Bosporus in Istanbul Straßenmusik macht. Der Dokumentation gelingt es zudem anhand von Einzelporträts, die Lebenswelten einzelner Musiker aus dem Ensemble in den Fokus zu rücken. Geschickt stellt der Regisseur Morgan Neville die unterschiedlichen Biografien einander gegenüber und zeigt dabei, auf welche Art Schicksalsschläge wie Krieg und Verlust Menschen zusammenführen.

Da ist etwa Kayhan Kalhor, der nach der Islamischen Revolution in die Vereinigten Staaten auswanderte, um dann nach Jahrzehnten in den Iran zurückzukehren und junge Menschen auf der Kemancheh auszubilden. Nach den Protesten der sogenannten "Grünen Bewegung" im Iran ging er zurück in die USA, musste seine iranische Frau dabei zurücklassen. Oder die chinesische Lautenspielerin Wu Man, die nach der Kulturrevolution Chinas als eine der ersten jungen Frauen Musikunterricht nahm und auf der "Pipa" schnell zum Wunderkind avancierte. Ihre Musikverstand in Amerika anfangs niemand.

Aus der jüngeren Generation stammt der syrische Klarinettist Kinan Azmeh, der sich im Film die Frage nach der Verortung der eigenen Heimat stellt. "Es ist der Ort, zu dem du etwas beitragen möchtest, ohne dich dafür rechtfertigen zu müssen", resümiert Azmeh und berichtet dann von dem schmerzlichen Gefühl, das eigene Geburtsland aus der Ferne in Schutt und Asche zerfallen zu sehen.

Die Tradition am Leben erhalten

Und so bleibt Musik allein nie das einzige Thema des Films, werden doch immer wieder neue Ebenen erschlossen. Ein junges Mitglied des Silk Road Ensemble ist Cristina Pato aus der spanischen Region Galizien, die mit ihrem Dudelsack temperamentvolle Klänge in das Ensemble bringt. "Die Herausforderung in Galizien ist dieselbe wie im Rest der Welt. Nämlich, deine Tradition am Leben zu erhalten", so Pato.

Das Silk Road Ensemble jedoch will keinen Kulturtourismus betreiben, kein verwässerter Abklatsch alter Musiktraditionen sein. Vielmehr geht es darum, einen gemeinsamen Klang zu finden, der gleichzeitig der Eigenart der Ensemble-Mitglieder gerecht wird - ein Balanceakt, der den Musikern ein hohes Einfühlungsvermögen abverlangt. Sie alle tragen gleichzeitig dazu bei, dass ihre jeweiligen Musikkulturen im Ensemble Gehör finden, auf internationale Bühnen getragen werden und somit nicht aussterben.

Innovation ist nämlich eine Frage des Überlebens. "Wenn eine Tradition sich nicht mehr weiterentwickelt, wird sie in der Regel immer unbedeutender", sagt Yo Yo Ma im Film. Die Reflektionen des Ensemblegründers ziehen sich wie ein roter Faden durch "TheMusic of Strangers", ergänzt durch kurze Kameraeinstellungen aus unterschiedlichen Kulturen, die von der Musik des Ensembles untermalt werden.

Wenn die Politik der Musik in die Quere kommt

Doch dem Ensemble, das als Modell für Demokratie und Völkerverständigung gefeiert wird, kam immer wieder auch die Politik in die Quere. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sah Yo Yo Ma das Ensemble ganz besonders in der Pflicht, gegen Ressentiments und Rassismus anzuspielen - schließlich haben Musiker aus der islamischen Welt im Silk Road Ensemble eine starke Präsenz.

In diesem Jahr sah sich das Ensemble mit einer politischen Herausforderung konfrontiert: Trumps Einreiseverbote zu Beginn von 2017 schienen für das Silk Road Ensemble für unbestimmte Zeit die Zusammenarbeit mit Musikern aus muslimischen Ländern unmöglich zu machen. Kinan Azmeh, der seit 16 Jahren in New York lebt, wurde im Februar - als Trumps erstes Verbot erlassen wurde - tatsächlich an der Einreise in die USA gehindert.

Fest steht: Durch solche Politik wird ein Projekt wie das Silk Road Ensemble umso deutlicher in seiner Existenz bestärkt. Denn mehr denn je braucht es jene Projekte, die Spaltungen überbrücken und sich auf die Suche nach einem gemeinsamen Klang der Menschlichkeit begeben.

Marian Brehmer

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