"Ägyptens Medien sind Propagandamaschinen"

Im Gespräch mit Andrea Backhaus kritisiert der renommierte ägyptische Journalist und Politologe Hani Shukrallah die politische Instrumentalisierung der Medien unter Armeechef Abdelfattah Al-Sisi und den Opportunismus vieler ägyptischer Journalisten.

Von Andrea Backhaus

Herr Shukrallah, ausländische Journalisten werden von Sicherheitsleuten verfolgt und malträtiert. Die Staatsmedien sind gleichgeschaltet und preisen in Endlosschleifen die Heldentaten der Armee. Das muss einem guten Journalisten doch die Sinne rauben.

Hani Shukrallah: Ich schlafe seit einem Monat nicht mehr. Ich stehe vor meinem Lebenswerk und denke: Die ganze Mühe war umsonst. Seit Mursis Sturz gibt es in diesem Land keine respektablen Medienanstalten mehr. Alles ist schiere Propaganda. Das ist ein Desaster.

Im Radio läuft Marschmusik, die Zeitungen zeigen Fotos von Islamisten in Handschellen auf der Titelseite, im Fernsehen ist das Logo eingeblendet: "Ägyptens Kampf gegen den Terror"…

Shukrallah: Das sind die Drogen für das Volk. Damit macht das Militär die Menschen gefügig. Sie haben uns nie gezeigt, wer da in den Protestcamps der Mursi-Anhänger sitzt. Das waren sicher nicht alles durchgeknallte Hassprediger. Stattdessen hörte man nur noch geifernde Kommentare über den islamistischen Terror. Aber klar ist: Alle Seiten haben versagt. Weder den westlichen noch den ägyptischen Medien gelingt es, die Komplexität der Lage zu erfassen. Sie berichten, als gebe es nur Schwarz oder Weiß. Sie treiben die Polarisierung des Landes enorm voran.

Viele Ägypter werfen den westlichen Journalisten vor, Partei für die Muslimbrüder zu ergreifen.

Shukrallah: Der westliche Blick auf die arabische Welt ist noch immer von Vorurteilen geprägt. Seit der Islamischen Revolution im Iran betrachten viele Intellektuelle die Muslime als Abweichung von der Norm. Sie sagen, die Muslime verweigerten sich der Demokratie und der liberalen Marktwirtschaft. Deshalb, so die Überzeugung, gebe es für die Araber nur zwei Systeme: einen säkularen Polizeistaat oder eine islamisch geprägte Demokratie. Autokraten wie Mubarak und Ben Ali haben diese Karte voll ausgespielt. Sie präsentierten sich als Bollwerk gegen den radikalen Islamismus. Die Furcht des Westens vor dem Terror haben auch die Muslimbrüder für sich genutzt.

Mediale Zerrbilder und plumpe Inszenierung des Feindes: "Sie haben uns nie gezeigt, wer da in den Protestcamps der Mursi-Anhänger sitzt. Das waren sicher nicht alles durchgeknallte Hassprediger. Stattdessen hörte man nur noch geifernde Kommentare über den islamistischen Terror", sagt Hani Shukrallah.

Inwiefern?

Shukrallah: Nach dem Arabischen Frühling wollte der Westen die Muslimbrüder nur zu gern als Repräsentanten eines moderaten Islamismus anerkennen. Mursi war rhetorisch geschickt genug, um dem Westen zu vermitteln: Wir teilen eure Werte. Als er während der Gaza-Krise 2012 zwischen allen Seiten vermittelte, wurde er wie der Messias gefeiert. Der Westen hoffte, er könne mit den gemäßigten Muslimbrüdern die Radikalen unter Kontrolle halten. Dass Mursi gegen jedes demokratische Prinzip verstieß, wurde in Kauf genommen.

Deshalb soll der Westen jetzt das harte Vorgehen der Armee ignorieren? Bei der Räumung der Protestcamps der Mursi-Anhänger starben hunderte Menschen.

Shukrallah: Natürlich ist die Kritik an der Armeeführung richtig. Aber die Reporter haben nach dem 30. Juni schnell vergessen, dass Millionen Ägypter gegen die Islamisten auf die Straße gegangen sind. Sie tun so, als habe es die Rebellionsbewegung nie gegeben.

Fast alle Führungskader der Islamisten sitzen mittlerweile in Haft. Kann das Land mit solch einer Jagd auf die einst Herrschenden zur Ruhe kommen?

Shukrallah: Nein. Die Furcht vieler Beobachter, dass diese Hetze die Islamisten zu ihren terroristischen Wurzeln zurückbringt, ist berechtigt. Die Muslimbrüder sind populär. Ihre Anhänger sind bereit, für ihre Überzeugung zu sterben. Ich hasse die Ideologie der Muslimbrüder. Aber sie müssen in die Prozesse miteinbezogen werden. Repression bewirkt Repression. Das hat die Geschichte immer wieder bezeugt.

Diese Jagd wird von den ägyptischen Medien zelebriert. Sie verherrlichen die Armee und dämonisieren die Islamisten.

Shukrallah: Sie betreiben eine plumpe Inszenierung des Feindes. Das erinnert an die Bildersprache der amerikanischen Medien nach den Anschlägen vom 11. September: die Flagge, die im Hintergrund wehte, der Banner "Kampf gegen den Terrorismus", der in jeder Sendung am Bildschirmrand flackerte. Das mündete auch dort in einen völlig überzogenen Nationalismus. In Ägypten kreieren nun Mubaraks Schergen einen Diskurs der Hysterie. Sie wollen die Geschichte der Revolution umschreiben.

Dass die Armee harsch mit ihren Kritikern umgeht, ist nicht neu. Als sie nach Mubaraks Sturz regierte, wurden Journalisten unter Druck gesetzt, etliche Blogger juristisch verfolgt.

Shukrallah: Die Medien waren in Ägypten nie frei. Sie dienen nicht der Information, sondern der Mobilisierung der Massen. Es sind Propagandamaschinen.

Und die Journalisten sehen sich als Sprachrohr der Herrschenden?

Shukrallah: Sie verstehen sich als Diener der Macht. Bei den großen Zeitungshäusern wie "Al-Ahram" oder "Al-Masry Al-Youm" gibt es Etliche, die einst einen Chefposten hatten, im neuen System aber ruhig gestellt waren. Die werden jetzt wieder zu Chefredakteuren ernannt. Oft wechseln ganze Redaktionen über Nacht ihre politische Flagge. Ich kenne unendlich viele dieser Journalisten.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Shukrallah: Ein Kollege war unter Mubarak aufs Engste mit dem Sicherheitsapparat verbunden. Als die Proteste auf dem Tahrirplatz begannen, beschrieb er die Demonstranten als drogenabhängige, sexsüchtige, kommunistische Plage, die es zu bekämpfen gilt. Nach dem Sturz Mubaraks schrieb er Kommentare über die großartige Jugend. Er brachte Überschriften wie: "Ägypter, schaut auf diese Sieger". Als die Muslimbrüder kamen, erhob er sich während der Redaktionskonferenzen und sang für uns Suren aus dem Koran. Wie er ticken die meisten Journalisten.

Sie waren viele Jahre leitender Redakteur einer staatsnahen Zeitung. Wie kann man eine solche Gleichschaltung aushalten?

Shukrallah: Gar nicht. Deswegen wurde ich dort zweimal gefeuert. Zuerst 2005 von Mubaraks Geheimdienst. Da war ich Chef der "Al-Ahram Weekly", der englischen Printausgabe. Ich habe immer darauf gepocht, dass wir über Themen wie Menschenrechte und Repression schreiben, auch wenn das im Mutterblatt gar nicht vorkam. Im Februar wurde ich von den Muslimbrüdern rausgeworfen. Sie haben unseren Stab radikal ausgetauscht.

Ein Aufschrei in der Öffentlichkeit folgte aber nicht.

Shukrallah: Nein, und das ist frustrierend. Es fehlt in Ägypten an allem, was Meinungsfreiheit ermöglicht: Ausbildung, Ausstattung, Wissen. Ich sage meinen Studenten: Geht raus und lasst euch überraschen. Bestätigt nicht eure vorgefertigten Thesen. Sie verstehen das oft nicht. Woher auch? Die Ägypter kennen keine Medien, die innerhalb demokratischer Strukturen arbeiten.

Erklärt das den Willen zur Selbstzensur?

Shukrallah: In Ägypten haben ethische Standards keine Tradition. Auf die Medien übertragen heißt das: Die Botschaft zählt, nicht die Art der Übertragung. Diese Kultur der Mobilisierung wird in Zeiten des Krieges zur Gefahr der öffentlichen Ordnung. Es gibt dann nur noch Gut oder Böse.

So wie im Moment.

Extreme Polarisierung und Hass: Kritiker, wie der Satiriker Bassem Youssef, versuchten noch unter den Muslimbrüdern die Grenzen auszutesten. Doch das Klima hat sich inzwischen gewandelt. Youssef und andere kritische Moderatoren sind heute verschwunden.

Shukrallah: Ja. Die wenigen Mahner werden übertönt. Unter den Muslimbrüdern starteten einige Privatsender ein Gegenprogamm. Da versuchten Kritiker, wie der Satiriker Bassem Youssef, die Grenzen auszutesten. Jetzt aber herrscht ein Klima des extremen Hasses. Youssef und andere kritische Moderatoren sind verschwunden.

Sind sie abgetaucht, weil sie Repressionen fürchten?

Shukrallah: Das weiß niemand. Vielleicht haben sie kapituliert, weil sie in einer Meinungsdiktatur nicht arbeiten wollen. Vielleicht haben die Chefredakteure sie verjagt. Der Druck der Öffentlichkeit ist enorm. Wenn ich auf Facebook die Übermacht der Polizei anprangere, heißt es in den Kommentaren, ich sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Es ist lächerlich. Aber nicht jeder hält diesem Druck Stand.

Der gewählte Präsident Mursi sitzt hinter Gittern, der gestürzte Despot Mubarak wurde aus der Haft entlassen, das Militär herrscht mit harter Hand. Ist Ägypten auf dem Weg in die Demokratie?

Shukrallah: Ja. Uns stehen schwere Zeiten bevor. Aber ich glaube an die jungen Leute. Sie haben zwei Autokraten und eine Militärherrschaft beseitigt. Sie werden nicht zulassen, dass man ihnen ihre Revolution aus den Händen nimmt. Sie haben das Internet. Es ist ihre beste Waffe.

Interview: Andrea Backhaus

© Qantara.de 2013

Hani Shukrallah, 1950 in Kairo geboren, ist Politologe und einer der prominentesten Journalisten Ägyptens. Von 2003 bis 2005 war er Chefredakteur der staatsnahen "Al-Ahram Weekly", die zu den bedeutendsten englischsprachigen Zeitungen in der arabischen Welt gehört. Später leitete er die Redaktion der dazugehörigen Tageszeitung und der englischen Online-Seite. Im Februar 2013 wurde Shukrallah auf Anweisung der Muslimbrüder entlassen.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de