"Wenn man mit dem Koran ein Land regieren will, wird es die Hölle!"
Mit seinem Roman "Das Haus an der Moschee", in dem der Einbruch des islamistischen Fundamentalismus in das Alltagsleben einer traditionsbewussten Familie beschrieben wird, stürmte Kader Abdolah in den Niederlanden die Bestsellerlisten. Über den Roman und über die Situation als Exilschriftsteller sprach der Autor mit Ilja Braun.
Sie sind 1988 aus dem Iran als politischer Flüchtling in die Niederlande gekommen, hatten aber vorher bereits mehrere Bücher auf Persisch verfasst. Wie war es für Sie, als Sie begannen, auf Niederländisch zu schreiben?
Kader Abdolah: Mühsam, schrecklich mühsam. Ich musste nach jedem einzelnen Wort suchen. Ich habe wie ein Juwelier gearbeitet: Ich nahm Wort für Wort zur Hand, betrachtete es, roch daran und schrieb es schließlich nieder. Es war eine geradezu handwerkliche Tätigkeit, und es kostete mich sehr viel Energie. Vor allem bei meinem ersten Buch, an dem ich fünf Jahre lang gearbeitet habe.
Und hat das Ihre Bücher sehr verändert? Sind die auf Niederländisch verfassten sehr verschieden von Ihren früheren?
Abdolah: Als ich vor 17 Jahren hierher kam, kam ich als Perser. Aber 17 Jahre Ringen mit der niederländischen Sprache haben einen anderen Menschen aus mir gemacht. Ich schreibe meine Bücher nun mit der Mentalität eines Niederländers. Ich blicke aus einem Abstand von fünf-, sechs-, siebentausend Kilometern auf meine eigene Kultur. Und weil ich heute für meine niederländischen, belgischen, europäischen Leser schreibe, sehe ich sie mit ganz anderen Augen, als ich das damals vor 17 Jahren tat.
Worin besteht denn dieser Unterschied?
Abdolah: Zum Beispiel mein letztes Buch, "Das Haus an der Moschee", habe ich ganz eindeutig für meine niederländischen, belgischen, deutschen und amerikanischen Leser geschrieben, denn für ein iranisches Publikum wäre es gar nicht nötig gewesen. Ich nehme meine Leser an die Hand und gewähre ihnen einen Blick hinter den Vorhang. Und weil ich 17 Jahre lang mit den Niederländern zusammengelebt habe, weiß ich genau, was sie schon wissen und was noch nicht, worauf sie neugierig sind, an welche Orte ich sie mitnehmen muss.
Sie legen sozusagen Zeugnis ab von Ihrer Heimat?
Abdolah: Ja, genau, es ist eine Art Zeugenbericht. In den Niederlanden ist Kader Abdolah jemand, dem man vertraut, also sage ich: Wollt Ihr nicht mitkommen? Ich nehme Euch mit zu meiner Kultur. Der Islam, der Koran, Iran und der Nahe Osten, das sind Themen, für die man sich in Europa derzeit sehr interessiert. Man ist neugierig auf den Koran, auf die islamische Religion und auf die alten Kulturen. Und ich sage: Gut, kommt doch einfach mit, ich zeige Euch das alles.
Ihr Buch handelt aber auch vom Einbruch des Politischen ins Private. Sie beschreiben das Leben einer Familie, die seit Jahrzehnten in einem Haus an der Moschee wohnt und zur Zeit der Revolution Khomeinis mit den Fundamentalisten in Konflikt gerät, obwohl sie den Koran immer in Ehren gehalten hat.
Abdolah: Mit dem Koran ist es so eine Sache. Wenn ich den Koran lese, lese ich ihn als ein altes, schönes, poetisches Buch, das von der Vergangenheit erzählt und von der Religion. Der Koran ist mir genauso viel wert wie die Bibel, beide gehören sie zu den schönsten Büchern der Welt. Das ist jedenfalls meine Meinung.
Aber wenn man dieses Buch dem heutigen iranischen Präsidenten in die Hand drückt, liest er es ganz anders. Er missbraucht es, um Gewalt zu rechtfertigen. Die iranischen Ayatollahs, die Imame, nehmen ein 1400 Jahre altes Buch zur Hand und lesen es als Gesetzbuch, mit dem sie nun Politik machen und das Land führen wollen. Und das geht ganz schrecklich schief!
Wenn man mit dem Koran ein Land regieren will, wird es die Hölle! Dabei kommt das heraus, was man jetzt im Iran beobachten kann. Normale Leute haben den Koran im Wohnzimmer liegen und benutzen ihn bisweilen als Richtschnur für ihr Verhältnis zu ihren Kindern und Nachbarn, aber mehr auch nicht. Und hier wird die Bibel ja auch gelesen, aber nicht als Gesetz betrachtet.
Sie kehren in dem Buch zurück zu der Zeit des Schahs und seines Sturzes durch die Revolution Khomeinis. Khomeini ist von der politischen Linke anfänglich unterstützt worden, hat dann aber die in ihn gesetzten Erwartungen schwer enttäuscht.
Abdolah: Der Schah war nur eine Marionette der Amerikaner, und vielleicht konnte Khomeini ihn deshalb so leicht aus dem Land jagen. Aber der Iran kannte eben auch sehr lange keine Freiheit. Wir haben fast 3000 Jahre lang im Schatten einer Schreckensherrschaft gelebt.
Es gab keine freie Meinungsäußerung und keine Erfahrung mit freien Wahlen. Ohnehin konnten wir nur zwischen dem Schah und Khomeini wählen. Den Schah wollten wir nicht, und eine andere Alternative gab es nicht. Es gab nur einen einzigen Führer, und das war Khomeini.
Nach einer relativ langen liberalen Phase, die mit Khomeinis Tod einsetzte, steht das Land heute wieder unter der Führung eines Fundamentalisten. Ist das eine gefährliche Situation?
Abdolah: Bush will bombardieren, und ich glaube, die Ayatollahs wollen auch gerne bombardiert werden. Sie wollen gern als anti-amerikanische Helden in die Geschichte eingehen. Und natürlich gönne ich ihnen das nicht und hoffe deshalb auch, dass Bush den Iran nicht bombardiert. Man sollte lieber versuchen, mit ihnen zu reden. Sonst bekommen die Geistlichen alle Iraner hinter sich, um gegen Amerika zu kämpfen.
Interview: Ilja Braun
© Qantara.de 2007
Kader Abdolah, 1952 im Iran geboren, studierte Physik in Teheran. 1988 verließ er als politischer Flüchtling das Land. Der Schriftsteller, der sein Pseudonym aus den Namen zweier ermordeter Freunde zusammengesetzt hat, lebt heute in Amsterdam.
Kader Abdolah: Das Haus an der Moschee. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby. 416 Seiten. Claassen-Verlag, August 2007. 19,90 Euro
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