Wasser auf die Mühlen der Radikalen
Bereits am Dienstagmorgen, also pünktlich zum Jahrestag der Anschläge des 11. September, machte in Kairo das Wort von einem in den USA produzierten Film in Kairo die Runde, in der der Prophet der Muslime, Muhammad, verunglimpft werde. Kurz darauf verbreitete sich ein 14-minütiger Trailer via Youtube, Facebook und Twitter.
Im Netz kursieren eine englische und eine auf ägyptischem Dialekt synchronisierte Version. Der billig produzierte Streifen zeigt einen verschlagenen Muhammad als irren und sex-besessenen Frauenheld, der, stets sein blutiges Schwert zur Hand, zu Massakern an Angehörigen anderer Religionen aufruft.
Ähnlich wie beim dänischen Karikaturenstreit blieb die pawlowsche Reaktion nicht aus. Verschiedene Salafisten-Fernsehkanäle riefen zu Protesten vor der US-Botschaft in Kairo auf. Allen voran hatte der Salafistenführer Wesam Abdel-Wareth auf dem von ihm geleiteten Salafistenkanal "El-Hekma" zu Protesten vor der US-Botschaft in Kairo aufgerufen.
Mehrere tausend Menschen, meist Salafisten, waren dem Aufruf gefolgt und zogen am Nachmittag vor die US-Botschaft, einem Festungsbau im Zentrum der Stadt. Eine Gruppe Jugendlicher schaffte es mit Leitern auf die Mauer zu klettern, in den Garten einzudringen und die wegen des 11. September auf Halbmast wehende US-Flagge herunterzuholen und zu verbrennen. Das Sternenbanner wurde durch eine schwarze Flagge ersetzt, auf der das muslimische Glaubensbekenntnis zu einem Gott und zum Propheten Muhammad geschrieben stand.
Auftakt für weitere Proteste
Doch die Ereignisse in Kairo sollten für die US-Vertretungen in der Region nur ein Vorgeschmack sein: In Bengasi griff am Abend eine Gruppe salafistischer Bewaffneter, die sich als "Unterstützer der Scharia" bezeichneten, mit Panzerfäusten und Raketenwerfern das US-Konsulat an und zündeten es an.
Der zufällig anwesende US-Botschafter, Chris Stevens und drei weitere Beamte des US-Außenministeriums kamen bei der Attacke ums Leben. Und das ausgerechnet in der Stadt, in der der Aufstand gegen den Diktator Gaddafi begann, und die es der US-Luftwaffe zu verdanken hat, dass ein Rachefeldzug der militärisch überlegenen Gaddafi-Truppen vor den Toren der Stadt gestoppt werden konnte. "Die Angreifer haben unsere Truppen und Bewacher des US-Konsulates einfach zahlenmäßig übertroffen", rechtfertigt sich Wanis al-Sharef, ein Beamter des libyschen Innenministeriums.
Feindbild Islam
Der Islam sei ein "Krebsgeschwür" erklärte der Produzent des zweistündigen Filmes, der die Auseinandersetzungen ausgelöst hat. Sam Bacile, ein 56-jähriger kalifornischer Immobilienunternehmer, der nach eigenen Angaben israelischer Jude ist, hat das Drehbuch geschrieben. Auf seiner Webseite beworben wurde der Film von Morris Sadek, einem im US-Exil lebenden, für seine extremen Ansichten bekannten ägyptischen Kopten.
Letzteres könnte die Spannungen zwischen Muslimen und koptischen Christen in Ägypten verschärfen, da einige radikale islamische Prediger die koptische Kooperation für den Film betonen.
Ägyptens Kopten versuchen indes den Schaden zu begrenzen. Medhat Klada, der den in Europa lebenden koptischen Organisationen vorsteht, erklärte Sadeks Positionen als "nicht repräsentativ für die koptischen Exilgemeinden". Sadek sei ein Extremist, der die Menschen in Ägypten gegen die Kopten aufhetze, erklärte er. Auch die "Maspero-Jugend-Vereinigung", ein Zusammenschluss junger Kopten, die an dem Aufstand gegen Mubarak teilgenommen hatten, ließen auf ihrer Facebookseite verlauten, dass Sadek weder den Mainstream des koptischen Patriotismus noch die Kopten in der Diaspora repräsentiere.
Neue Dynamik der Kontroverse
Anders als der Streit um die dänischen Muhammad-Karikaturen vor sechs Jahren findet diese neue Kontroverse in einer veränderten arabischen Welt statt.
Zwar ist dort der Ärger allerorten über den Film groß, aber es ist die kleine und lautstarke Minderheit der Salafisten, die den Fall für sich politisch zu nutzen sucht und die das Gros der Demonstranten in Kairo und der Angreifer auf das Konsulat in Bengasi stellt.
Innerhalb Libyens und Ägypten trifft die Kontroverse damit auf eine neue Dynamik. Der gestürzte Diktator Mubarak hatte die Salafisten immer als Schreckgespenst genutzt, auch während des dänischen Karikaturenstreits – nach dem Motto: "Wenn Ihr keine Angriffe auf Botschaften und westliche Einrichtungen wollt, dann unterstützt mich im Namen der Stabilität!"
Heute regiert in Ägypten mit Mohammed Mursi ein Präsident, der der konservativen Muslimbruderschaft entstammt und der die Regierungsverantwortung trägt und auch beispielsweise für den Schutz ausländischer Botschaften zuständig ist.
Noch versuchen sich die Muslimbrüder in einer Doppelrolle, sie verurteilen den Film und rufen zu friedlichen Demonstrationen auf. Deren Sprecher, Muhammad Ghozlan, forderte die US-Regierung auf, sich zu entschuldigen und die Verantwortlichen zu bestrafen.
Doch wollen die Muslimbrüder in der Regierungsverantwortung bleiben, dürfen sie den Salafisten nicht den Islam auf der Straße überlassen. Gleiches gilt für die nun neu gewählte libysche Regierung. Die Kontroverse um den Film und die Angriffe auf US-Einrichtungen sind für die neuen demokratisch gewählten arabischen Regierungen ein erster Weckruf, dass sie einer politischen Konfrontation mit den Salafisten auf Dauer nicht mehr ausweichen können.
Neben der wirtschaftlichen Krisenbewältigung wird dies zweifellos die größte politische Herausforderung für die neuen Herrscher in Kairo und Tripolis sein. Sie hätten dabei moderate Islamisten, Liberale, das Militär und das westliche Ausland auf ihrer Seite.
Doch sichererlich wäre das Ganze einfacher, gäbe es da nicht immer wieder islamophobe Provokationen aus dem Ausland, die den Salafisten das Wasser für ihre extremistischen Mühlen liefern.
Karim El-Gawhary
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de